Der rechte Weg – Borderzone

“Es gibt einen Schmugglerpfad über die Berge, aber es ist nicht einfach”, sagt Rumen mit stirnrunzelndem Gesicht. Als er meinen Blick sieht, aus dem Garten in die Richtung Berge schweifend, fügt er schnell hinzu, “sie erwischen dich, und dann kommst du in den Knast, geh den rechten Weg, mein Junge, geh den rechten Weg. Rumen mit seiner liebevoll bestimmenden Art. Rumen der hier alles mit seinen Händen aufgebaut hat. Das Haus, den Wein.

Ob er wirklich denkt, dass ich, nachdem er mich auf den Schmugglerpfad heiß gemacht hat tatsächlich noch darüber nachdenke die offizielle Grenze zu nehmen. Naja man kann es ihm nicht vorhalten, er kennt mich halt nicht.

Milena tischt Berge von Pommes, Salate und Fleischbällchen auf. Rakia, selbstverständlich hausgebrannt im Hinterhof eines Nachbarn und natürlich eine Flasche vom feinen selbstgemachten Tafelwein. Nach den Wochen Schonkost auf Tour in denen Elena und ich von Sofia hierher gelaufen sind werd ich sicher ein paar Tabletten gegen Sodbrennen schmeißen müssen nach diesem Festmahl.

Rumen und Milena sind Elena’s Onkel und Tante. Wir sind erst seit ein paar Monaten ein Paar und nur ein paar Tage bei ihnen. Ich werde herzlichst versorgt. Mit essen und Rakia, mit lieben Gesten und lächeln.

Und mit Informationen.

“Die Grenze wird streng bewacht, wegen der Flüchtlinge.” übersetzt Elena für mich weiter. “Der Schmugglerpfad wurde schon in der Sowjetuinon und weit früher benutzt, es haben schon einige Leute dort ihr Leben gelassen. Diese Flanke des Berges ist von allen Straßen und Pisten auf griechischer Seite uneinsehbar, sie ist begehbar, aber sehr steil, nur für gute Bergsteiger” sagt Rumen und deutet nach einer halben Sekunde auf einen Punkt in den Bergen auf dem Satellitenbild meines Handy Displays.

Dafür dass er nicht will das ich da langgehe, geht aber sehr verschwenderisch mit seinem Wissen um, denke ich heimlich. Vielleicht glaubt er ja, dass ich sowieso nicht den Mumm dazu habe, das durchzuziehen. Nun ja, nötig ist es jedenfalls nicht. Ich könnte ganz normal einen Coronatest machen und dann wie geplant hinter der offiziellen Grenze in Kulata die Struma runter in den Kerkinisee paddeln.

Aber ein geheimnisvoller Schmugglerpfad aus der Sowjetunion. Katz und Maus spielen in der Nacht mit den Grenzbeamten in schroffen Bergen, in denen die Bären leben.

Es ist wie als würde man einem Kind erzählen: da junge, da ist Disneyland.

Die aufregendsten Achterbahnen und Wasserrutschen, die du dir vorstellen kannst vor deiner Nase. Aber ist echt gefährlich. Mach doch lieber einen Spaziergang im Park daneben, ist ja auch schön.

Da ist dieses Brennen in mir. Dieses brennen nach Abenteuer. Nach Angst und Befreiung, nach echtem, hartem fühlen. Und dieses brennen will gestillt werden.

Solange ich mich auf der bulgarischen Seite befinde kann ich ja auch jederzeit zurück, beschwichtige ich mich selbst.

“Noch eine Runde Rakia?”

“na klar! “

Das Zeug schmeckt wie süße Medizin.

Die Perfektion von gebranntem Wein.

Ich kann mich nicht erinnern jemals so einen guten Schnaps getrunken zu haben, der sich auch noch anfühlt, als würde er einen Gesund machen.

Ich fühlte mich schwach die letzten Tage im Pirin Gebirge. Meine Mandeln sind geschwollen und Eitern ein wenig. Tatsächlich nach ein paar Rakia, gutem Essen und eine lange Nacht tiefen Schlafes in dem knorrigen alten Holzbett von Elenas Großeltern bin ich wieder voll im Saft.

Heute helfen wir Rumen und Milena mit der Weinernte, eröffnet Elena mit beim Frühstück. Banitza, heiß dampfendes, mit Käse gefülltes Blätterteiggebäck dippen wir in kühlen Schafsjoghurt mit Mandelsplittern und Honig übergossen. Himmel, irgendwas machen die in diesem Land richtig, wenn es um leiblichen Genuss geht. Aber dann wird auch klar, wo die dicken Bierbäuche der Leute hier herkommen. Wo sind nochmal meine Magentabletten?

Von den Weinbergen aus wird die Aussicht auf die Berge, die die Grenze nach Griechenland bilden, noch besser.

Ali Botush, der höchste der Berge, an denen der Schmugglerpfad hinab führt, versteckt sich noch hinter den bewaldeten Hügeln.

Anderthalb gemütliche Tagesmärsche von hier mehr sollte es nicht sein.

Nach dem Abschied von Elena bleibe ich noch eine Nacht in dem Haus und speise noch einmal mit Rumen und Milena.

“du sollst den rechten Weg nehmen, hörst du junge”, übersetzt diesmal sein Sohn für ihn.

” Jaja schon klar” lächle ich zurück.

“Welchen Weg wirst du gehen?”

“wieder Blicke ich Richtung berge”

Er schüttelt den Kopf.

“Welchen Weg wirst du gehen”, wiederholt er.

Ich Blicke Rumen in die Augen:

“Kulata, natürlich, die Straße, den rechten.” sage ich und gebe mir nicht die geringste Mühe mein Grinsen zu verbergen

Den Abend zuvor habe ich ein kleines Dankesgedicht mithilfe eines Übersetzers in Kyrillischen Buchstaben auf Bulgarisch geschrieben.

Ob Rumen viel für Poesie übrige hat? Vermutlich nicht. Aber Milena wird sich sicher freuen, die so still und geduldig die ganze Zeit für uns gekocht und uns umsorgt hat. Ich klemme es in die Scheibenwischer ihres Pick-up’s, zupfe die Gurte meines Rucksacks zurecht und mache mich auf den Weg in die Weinberge bei Katunzi.

Eine Augenweide, die Weintrauben sind so voller Saft das sie wirken als würden sie jeden Moment platzen. Hoffentlich kriege ich keine Bauchschmerzen, wenn ich beim Laufen zu viele von den saftigen Beeren nasche. Damit Rumen mich nicht sieht, wenn er mit dem Traktor auf das Feld hochfährt laufe ich mitten durch die Berge, das Versteckspielen beginnt bereits. Schon bald finde ich einen Streifen Wiese zwischen den Feldern, der laut Satellitenbild schnurgerade bis hoch zum Fuß der Berge reicht. Hier stand mal ein Zaun, einen richtigen Weg gibt es nicht mehr. Vermutlich eine Art zweiter Grenzzaun aus der Sowjetzeit, für mich eine gute Art und Weise unentdeckt vorwärts zu kommen.

Es ist trocken hier, Trinkwasser könnte ein Problem werden. Was waren die großen Berge nicht voll von kühlem nass von Seen und Bergbächen. Von weitem kann ich noch die Ausläufer des Pirin sehen das Elena und ich durchquert haben. So richtig genießen konnten wir das Wasser aber nicht im Schneesturm. Dieses Land im Oktober. Wo man vom Winter in den Sommer innerhalb von Stunden gelangt. Tagsüber Schneesturm und kaum fünfzig Meter Sichtweite, die Schuhe Klitschnass, am selben Tag saßen wir am Fuße des Pirin im T-Shirt in der Nachmittagssonne.

Mal sehen, was diese Berge für Überraschungen aufbringen. Aber wenn ich es nach Griechenland schaffe, dann bleibt der Sommer erstmal. Und dann kann ich wie geplant die Struma bis in die Ägäis runter paddeln. Eins nach dem andern. Die wilden Weizenähren wedeln im Wind in der Nachmittagssonne.

Kurz setze ich mich und atme die warme Luft, spüre die Strahlen auf meiner Haut. Es ist als könnte ich das Mittelmeer schon riechen und als würde sich dessen Luft mit der Kühle der Berge im Klang der Grillen Zirpen zu einer Symphonie vermischen. Als würde der Sommer noch ein letztes Mal mit aller Kraft seine Schönheit zeigen. Jeden warmen Sonnenstrahl saugt man in sich auf, wenn man weiß, dass bald die kalten Monate bald folgen.

Als der alte Grenzstreifen nahe der Berge zu Ende ist, lande ich unverhofft auf einer schlecht geteerten Straße. Laut Satellitenbild überquert die Piste nach einem guten Stück einen Bach. Es wird bald dunkel und ich kann kaum darauf bauen hier anderswo Wasser zu finden, außerdem brauche ich einen versteckten Schlafplatz. Ich lege den Rucksack ins hohe Gras, nehme meine Wasserflaschen und fange an zu joggen. Ganz schön leichtfüßig fühlt es sich an so ohne Rucksack. Aber schwer wiegt die Sorge um das Wasser, wie ein alter Bekannter aus der Wüste. Der Bachlauf ist leer. Einen Kilometer weiter gibt es angeblich noch einen.

Ich laufe weiter bis mir ein Pick up mit Antenne auf dem Dach entgegenkommt, kyrillische Schriftzeichen: Bulgaren, Border Patrol.

“Aber die Grenze ist doch gar nicht hier”, fange ich schon an mich zu rechtfertigen als der Beifahrer die Scheibe runterdreht und der Wagen zum Stehen kommt.

“Einsteigen”, kommt trocken zurück.

Auf dem Weg reden die Männer Bulgarisch, kauen Kaugummi und unterhalten sich. Die Stimmung ist locker, kumpelhaft, sie machen Witze und lachen dreckig. Diesen Frühling habe ich mit rumänischen Gastarbeitern auf dem Spargelfeld gearbeitet. Ich erkenne schmutzige Bauarbeiter Witze auf jeder Sprache, am Lachen danach.

Immerhin kann ich mich auf Englisch rechtfertigen als wir an meinem Rucksack ankommen.

“Ich möchte nur auf den Ali Botush steigen”

“wenn du nach Griechenland willst, dann fahr nach Kulata, dort kannst du herüber”

“ich will aber nicht nach Griechenland!”

In ihrem müden lächeln über meine Rechtfertigungen kann ich lesen: Ich hätte ihnen genauso gut erzählen können, dass ich der Weihnachtsmann bin und zurück zum Nordpol will. Und es würde sie genauso wenig interessieren.

“Wo kommst du her?”

“Katunzi, die Familie meiner Freundin wohnt da” ich zeige ein Foto von Elena und mir bei der Weinernte.

“nicht schlecht, hübsch, guter Mann!”

“Danke!”

“Aufmachen!”

Nachdem sie in meinem Rucksack ganz oben zwei Dosen bulgarisches Bier finden werden sie noch lustiger. Als der Rucksack bis zum Ende leer ist, fällt ihr Blick auf meine Blockflöte. “Na dann spiel doch mal was!”

Als ich mein Ständchen beginne Grinsen die beiden und machen Videos mit ihren Handy’s. Nach fünf Sekunden durfte ich auch wieder aufhören. Das wird sicher die Lachnummer der Woche in der Holzkopf – Grenzsoldaten – WhatsApp Gruppe.

Mir solls recht sein, wenn die mich jetzt langsam mal gehen lassen.

Sie lassen mich warten und telefonieren rum.

“Wo willst du schlafen?” zum Glück hatte ich mir den Namen eines nahegelegenen Hotels für solche Fälle herausgesucht.

Normalen Einheimischen zu erklären, das ich aus Spaß hier draußen schlafe ist oft schwierig und führt zu fragen, es einem Grenzbeamten zu erklären ist dämlich.

“in den Bergen gibt es Bären, das weißt du?”

“Ja ich Weiss, kein Problem!”

“you, survivor! “, taufen sie mich feierlich mit einem Kopfnicken in Richtung meines Messers, dass ich griffbereit außen am Rucksack angebracht habe.

“Ich mag einfach nur die Berge und euer Land, Bulgarski Haracho!”

Diese Männer sind Grenzsoldaten, was mache ich mir vor. Es dürfe verdächtig bis offensichtlich für sie sein, dass ich über Grenze will, aber es scheint sie auch nicht weiter zu interessieren. Ihre Arbeit ist getan.

“wir bringen dich jetzt zur Hauptstraße und dann gehst du in dein Hotel”

“na klar”, antworte ich mit ernstem Gesichtsausdruck, “Danke.”

Zum Abschied drücken die Beamten mir noch eine halbe Packung Toast und selbstgemachten Brotaufstrich aus Paprika und Eiern in die Hand. Sehe ich schon so mitleiderregend aus nach den Wochen auf Tour? Ich bedanke mich vielmals und gehe die steile Asphaltstraße hinauf als bereits das Abendrot am Himmel erscheint. Wieder das Handy an, Satellitenbilder checken. Der Hügel neben der Straße sieht gut aus. Ein Pfad führt mich immer tiefer in den knorrigen Eichenwald hinein, bis eine kleine Wiese die Aussicht auf das riesige Tal zwischen Pirin und dem Grenzgebirge freigibt, in dem auch Katunzi liegt.

Hunde heulen wie Wölfe von weitem überall um mich herum. Wilde Hunde oder von einem Hof? Ich habe so viel besser geschlafen als Rila noch dabei war. Diese junge Wesen, dass sich am zweiten Tag nach dem Start der Tour in Sofia an meine Fersen geheftet hat.

Ich habe ihr die ersten zwei tage nicht mal was zu essen gegeben damit sie sich nicht deswegen an mich bindet, habe sie nur gestreichelt. Aber ein bisschen liebe schien zu reichen.

Sie war sicher noch kein halbes Jahr alt, aber nach zwei Tagen kräftezehrenden Marsches im Schnee, die Elena und mich völlig erledigt haben ist sie abends immer noch wie wild rumgesprungen.

Sie war wild in ihrer Seele, ein Straßenhund durch und durch, aber trotzdem so zutraulich.

Eher ein Hund mit dem Geist eines wilden Tieres und der Selbstständigkeit eines Outlaws. Ich hätte sie jetzt gerne bei mir, vor allem weil mir vor dem Moment graut, dass ein Rudel dieser wilden Hunde nachts vor meinem Bett steht. Aber so zuverlässig eine tierische Alarmanlage auch ist, so gut ist es auch keine dabei zu haben, wenn man versucht unbemerkt eine Grenze zu passieren. Diese Hündin…

Nachdem sie uns über eine Woche durch das Rila Gebirge gefolgt ist, durch Kälte und Schnee hatte ich mich schon so sehr an sie gewöhnt. Ständig hat sie andere Wanderer angeschnorrt. Manchmal aus den Augenwinkeln sah ich wie eine Gruppe junge Frauen ihr mit einem mitleidigen “ohhh” den Rest ihres Essens gaben oder ein Mann im Restaurant dem wehleidigen Hundeblick nicht widerstehen konnte. So hat sie sich bis zum Schluss fast immer ihr Essen selbst besorgt. Natürlich habe auch ich sie nach wohl gefüttert nach dem Tagelangen herum stapfen in den windig klirrenden Schneewehen des Gebirges, nachdem Rila benannt ist. Es war selbstverständlich für mich, dass sie nicht mit reinkommt, wenn wir eine Nacht im Hotel verbringen. Ein Hund ist ein Hund. Und egal wie viel Platz im Herzen man teilt ein Hund isst nicht mit vom Teller und schläft nicht mit im Bett. Gerade bei Rila fiel diese Entscheidung einfach, war sie doch selbstständiger als die meisten Menschen und gewöhnt, sich draußen durchzuschlagen. Wahrscheinlich hätten die sterilen Räume des Hotels sie mehr verstört als mich. Bin ich auch schon so eine Art wilder Köter geworden? Dass ich mich wohler fühle in den windigen Wäldern zu schlafen als in diesen glatt geschliffenen, Seelenlosen Hochglanz Zimmern? Dankbar für den Komfort und die Wärme bin ich trotzdem.

Da wollen wir wirklich rauf?
ab in die Suppe

Nach dem Schneesturm und dichten Nebel in den Gipfeln des Rila das Wetter aufgeklart. Tausend Höhenmeter weiter unten war wieder Frühling. Die letzten Meter im Tal, die wir dem Schild Spa Hotel gefolgt sind, liefen wir im T – Shirt. Drum herum war Wald und so hatte ich kein schlechtes Gewissen sie draußen zu lassen. Tatsächlich fand sie bald heraus wo unser Zimmer ist und legte sich unter unseren Balcon. Nachdem wir unsere schmerzenden Glieder am warmen Wasser geweidet hatten, brachen wir am nächsten Morgen früh auf. Rila stand bereit, wie als hätte sie die ganze Zeit auf uns gewartet.

Ein paar Tagesmärsche weiter erreichen wir Bansko. Die schönen alten Gemäuer der Stadt, aus die auch unser kleines Hotel gebaut ist trösteten über das ungewohnte Gewusel einer Menge bulgarischer Pauschaltouristen hinweg. Gerne hätte ich Rila hier mit reingenommen, zumindest in den Hinterhof des Hotels, aber da fand gerade ein großer Geburtstag statt. Eine Menge Kinder spielen. Unmöglich den Hund mit rein zu nehmen entgegnete die Frau höflich.

Na dann. Rila wird es sicher gut gehen hier. Sie ist härteres Straßenleben gewohnt. Hier gibt es eine Menge dickbäuchiger Touristen, die ihr Mitleidige ohhhhh´s und Leckerbissen schenken.

Ein paar Tage blieben wir in Bansko. Schon am ersten Tag sehen wir Rila nicht mehr.

“Sie wird schon wieder auftauchen,” beschwichtigte mich Elena, “hat sicher viel zu tun mit Essen schnorren und Herzen brechen.”

Am letzten Abend bevor wir weiterreisten ließ ich Elena alleine zu den heißen Quellen nach Beliza fahren.

“Mir geht es nicht so gut, ich gehe ein bisschen spazieren”, gab ich vor und verbringe den Abend bis zum Einbruch der Dunkelheit vergeblich damit Rila zu suchen.

Elena findet mich an diesem Abend alleine mit einem Bier in der Hand zwischen den Skulpturen am Marktplatz von Bansko sitzen. “Lass mich in Ruhe“, entgegnete ich ihrem fragenden Blick und brauche nichts weiter zu erklären.

Das Jaulen des vermeintlich wilden Rudels im Tal verstummt.

Ich öffne mein erstes Bier an diesem Abend und den Bildschirm meines Handy’s. Elena ruft an.

“Die Polizei war bei Rumen und Milena, sie haben nach dir gefragt.”

“Wie jetzt?! Ist das am Ende ein Trick von Rumen mich hiervon abzuhalten, hat er etwa die Grenzsoldaten die mich kontrolliert haben, geschickt?”

“keine Ahnung, Rumen meinte nur du sollst den rechten Weg gehen”

“Dieser Penner, werde dem schon zeigen, was der rechte Weg ist, hoffe nur die kommen nicht in Schwierigkeiten wegen mir.”

“lass dich nicht erwischen”

“jetzt sollte ich mich wohl wirklich auf gar keinen Fall erwischen lassen…”

“mach keinen scheiß”

“Gute nacht” beende ich das Gespräch mit gedämpfter Stimmlage”

Nachdem das letzte Bier aus meinem Rucksack ein stilles Ende gefunden hat, hat die Nacht den letzten Rest Abendrot verschluckt. Ich liege unter freiem Sternenhimmel zwischen den knorrigen Eichen, ein fast voller Mond geht auf und beleuchtet das Tal. Vollmond steht kurz bevor. Die perfekten Voraussetzungen um nachts ohne Taschenlampe durch die Berge schleichen zu können.

Ob es Menschen gibt, die in solchen Situationen anfangen würden zu zweifeln, ob das was sie da Vorhaben wirklich so eine gute Idee ist?

Glücklicherweise scheine ich immun gegen derlei Gedanken zu sein, die einen ja auch nur zu einem Leben in Langeweile verleiten.

Wenngleich die Stimme der Vernunft sehr präsent ist, allerdings nur um die Planung zu verfeinern wie ich die Sache am cleversten durchziehe.

Die Gedanken kreisen immer wieder im Halbschlaf um die ganze Geschichte. Rumen, die Polizei, die Grenzbeamten. Es ergibt keinen Sinn. Warum sollte er sowas machen? Auch Elena hat keine Erklärung. Wie passt das alles zusammen?

Als mich am Morgen das Zwitschern der ersten Vögel weckt, ist das Tal voller Nebel und die Wiese und mein Schlafsack feucht.

Natürlich. Die Erkenntnisse fallen am Morgen vom Himmel wie das Tau von den Blättern.

Die Border patrol hat in Katunzi rumtelefoniert, fängt mein Hirn an, die Ergebnisse auszuspucken.

Wieso kommen die besten neuen Sichtweisen immer im Halbschlaf.

In diesem Dorf wo jeder jeden kennt, fällt ein Deutscher mit langen blonden Haaren auf wie ein bunter Hund, fange ich an den Faden zu spinnen.

Es muss ein einfaches gewesen sein, die Buschtrommeln zu nutzen um zu erfahren das ich bei Rumen und Milena war. Dieses Land ist ein Dorf.

Die Gedanken kreisen weiter.

Sie wollten mich mit der Aktion nicht unter Druck setzen, um mich von der Grenze fernzuhalten. Wenn sie das unbedingt gewollt hätten, hätten sie mir auch einfach mit Gefängnis oder hoher Geldstrafe drohen können, dann würdich es auch sein lassen.

Nein, sie wollten einfach nur abchecken, ob meine Geschichte echt ist oder ob ich nicht am Ende ein entlaufener Straftäter oder so etwas bin.

Wenn die bulgarische Grenzpolizei nun vorgewarnt ist, ist es dann auch die Griechische? Die Bulgaren scheinen sich ja kaum für die Grenze interessieren, die Griechen sind es ja auch, die sie dicht halten. Außerdem hassen die Bulgaren und die Griechen sich. Die werden sich wohl kaum gegenseitig helfen, und selbst wenn: was sollten die mit der Information ‘verrückter deutscher mit Blockflöte auf dem Weg zum Ali Botush’ anfangen?

Die Grenztruppen verstärken?

Ich packe die Packung Toast und den leckeren Aufstrich aus und Frühstück in der feuchten Morgendämmerung, dankbar für das gute Essen. Nachdem der letzte bissen im Magen angekommen ist ziehe ich das Fazit:

Die Paste aus gerösteten Paprika ist ausgezeichnet, die Lage mit der Grenze ist und bleibt dieselbe wie am Anfang.

Von den Bulgaren habe ich nichts zu befürchten. Im Gegenteil. Die ganze Aktion, ihre Freundlichkeit und das sie mich gehen haben lassen zeigt eher das es sie überhaupt nicht interessiert, wohin ich gehe.

Ich packe meinen Rucksack und bin guten Mutes. Aber ich wäre sicher nicht so guten Mutes, wenn ich gewusst hätte, was vor mir liegt

Jetzt da die bulgarischen offiziellen ja wissen, dass ich hier herumlaufe, kann ich auch auf der Straße weiter bis zum Aufstieg, denke ich mir. Und tatsächlich bietet die sehr mäßig befahrene Straße eine leicht zu bewandernde Aufstiegsmöglichkeit ohne irgendwelche Zwischenfälle. Verfallene Sowiet – Grenzposten an der Straße deuten an, dass es hier nicht immer so ohne weiteres begehbar war.

Am Fuße des Aufstiegs stehen knapp ein dutzend Stadtautos mit bulgarischem Kennzeichen. Schon bald machen sich die dazugehörigen Menschen bemerkbar. Eine Familie auf dem Tagesausflug, zum Ali Botosh. Es ist Sonntag. Na Glück gehabt, dann ist der Wanderwege nach oben nicht nur frei, sondern auch noch frequentiert, sodass ich den Aufstieg bis zur Grenze noch genießen kann, ohne mir wie ein Verbrecher vorzukommen.

Der dichte Wald ist noch ein wenig Nebelig vom Vormittag und die Sonnenstrahlen werden wie laser durch den Dunst sichtbar, wenn sie zwischen den Blättern auf den Boden fallen.

Was ist das auf dem Baum? Eine rot weiße Markierung, die mir so vertraut vorkommt. E4. Europäischer Fernwanderweg E4. Derselbe Trampelpfad, dem ich seit etwa zweihundert Kilometern von Sofia aus folge. Ist illegaler Grenzübertritt etwa im Konzept des Fernwanderwegvereines?

Ein paar mal kommen mir junge Pärchen vom Gipfel entgegen. Wie ich wohl auf die wirke, mit meinem großen, ramponierten Rucksack so nah an der Grenze.

Ich versuche Begegnungen zu vermeiden, aber falls sie doch geschehen führe ich ein bisschen Smalltalk, frage nach dem Wetter am Gipfel, als würde ich jeden Sonntag hier hoch laufen. Kaum noch Wasser. Schon wieder. Und weiter oben im Gebirge gibt es bestimmt nichts mehr, wenn die Bäche hier schon ausgetrocknet sind. Zum Glück finde ich auf halber Höhe eine Art Betontrog dessen Wasser eiskalt und klar ist. Ich fülle alle meine Behältnisse, ca. 6 Liter. Schwer für die Schultern, leicht für den Geist.

Nach einem anstrengenden Nachmittag habe ich es endlich geschafft.

Der Blick nach Griechenland

Nur noch einen Katzensprung, hinter der Felskante liegt Griechenland. Von weitem sehe ich den Kerkini – See. Ein schwarzer Pick-up belauert auf einer Teerpiste die Berge. Ich blicke auf die Handy-Karte. Der Punkt den Rumen markiert hat ist ein paar hundert Meter weit links. Er hat kaum eine Sekunde die Karte angeschaut bevor er darauf getippt hat, ob das stimmen kann? Ich lege mich ins hohe Gras am Steilhang auf die Lauer und beobachte den schwarzen Pick up mit meinem Fernglas.

Ein paar Soldaten stehen gelangweilt an den Wagen gelehnt und rauchen Zigaretten. Ich komme mir vor wie eine Mischung aus James Bond und Old Shatterhand und muss laut über mich selbst lachen während mein Herz vor Vorfreude schon Sprünge macht.

Das wird ein Spaß, wenn nur der Pfad wirklich da ist, wo Rumen gesagt hat.

Eine endlose Kurzstrecke später stehe ich vor der Antwort. Dieser Hang ist von keiner Seite einsehbar. Rumen du Teufelskerl. Er muss die Gegend wie seine Westentasche kennen, wenn er so schnell den richtigen Hang auf der Karte gefunden hat. Ob er wohl auch schon einmal hier rübergegangen ist in dunkleren Zeiten?

Mit dem Fernglas suche ich die Hügel hinter dem Hang ab. Kein Wachposten in Sicht.

Die griechischen Beamten sind dafür ausgebildet, geflüchtete zu erwischen. Frauen Kinder, große Gruppen und selbst die schaffen es ja hin und wieder. Wäre doch gelacht, wenn ich es dann nicht schaffe, mit all meiner Touren Erfahrung und alleine.

Handy an. Satellitenbilder. Was mache ich, wenn ich es den Hang runtergeschafft habe? Das unauffälligste wäre es durch den dichten Wald bis hin zur Straße, die die eigentliche Grenze darstellt. Aber laut Höhenlinien ist der Wald voll mit Schluchten und Steilhängen, da können so ein paar Kilometer Tage dauern, wie ich damals in Sibirien erfahren durfte.

Besser ist es ungesehen in der Nacht über den kahlen Berg. Ich studiere die Höhenlinien immer wieder und lege mir eine grobe Route parat. In der Nacht, da unten werde ich nicht mehr so einfach auf mein Handy schauen können, mich zu verraten.

Es geht los. Ein Schritt über den Hang und ich befinde mich auf griechischen Staatsgebiet. Den verirrten Wanderer kauft mir jetzt keiner mehr ab, wenn sie mich hier abseits der Wanderwege erwischen ist klar, warum ich hier bin.

Der Abstieg ist zum Glück weniger hart als Rumens Worte haben befürchten lassen. Wenngleich er auch volle Konzentration erfordert und ich mich wegen dem schweren Rucksack voll mit Wasser immer wieder hinsetzen muss ,um mich wieder zu sammeln.

Der Hang ist zwar zu den Seiten sichtgeschützt, aber nach vorne hin völlig offen. Ich kraxle auf einem Präsentierteller, hätte ja nicht mal eine Chance mich hier anständig zu verstecken, wenn eine Patrouille am Horizont erscheint. Erst als ich gut versteckt zwischen ein paar Bäumen am Fuße des Steilhangs liege kann ich aufatmen. Abendrot am Himmel. Fern am Horizont zeichnet sich der riesige Kirkini See ab.

Vor mir liegen endlose, hügelige Wälder.

Die Bedrohlichkeit der Situation. Sie verweht jedes Grübeln, jedes Zweifeln. Sie zwingt die Sinne scharf und den Moment wach.

Ich schmunzle in mich hinein, was für ein Spiel. Esse einen Müsliriegel und mache mich bereit für eine lange Nacht.

Ständig gehe ich alle Optionen durch, checke Satellitenbilder. Spanne Fäden und Kappe sie wieder. Ziehe neue imaginäre Linien auf der Karte und versuche sie so gut es geht im Gedächtnis zu behalten und mit dem Berg der sich vor mir abzeichnet abzugleichen. Höhenlinien zeichnen Bilder von Abbruchkanten oder sanften Abstiegen. Jetzt hängt alles davon ab sie richtig zu lesen.

Als das Dämmerlicht schwindet und der weiche Schein des Vollmondes sich auf den Felsen spiegelt bin ich bereit.

Rucksack auf. Schon bald höre ich Schritte. Laute Schritte und lautes schnaufen. Ich erstarre. ein Bär?

Das hätte mir grade noch gefehlt. Ich habe eine superhelle Stroboskop – Taschenlampe und eine schrille Signalpfeife, um im Falle eines Falles Bären in die Flucht zu jagen. Beides zusammen wäre sehr wahrscheinlich effektiv, aber würde mich sofort verraten.

Die Schritte und das Schnaufen werden lauter und schneller. Das ist definitiv kein Murmeltier. Ich rufe leise in die Nacht. Buh. Sofort ertönt lautes Hufgetrappel auf blankem Fels.

Die Herde nimmt Reißaus zwischen kleinen Büschen. Im Mondschein sehe ich Silhouetten von Reh großen Tieren. Ich stehe immer noch starr, still. Halte lange inne und atme die warme Nachtluft. Lausche dem leiser werdenden Hufgetrappel bis die kleine Herde wieder zum Stehen kommt.

Diese wilden Wesen für die es keine Grenzen hier draußen gibt.

Auf einer normalen Wanderung hätte ich sie nie so getroffen. Wenn das nicht der wahre Vorteil davon ist so versteckt unterwegs zu sein. Wie ein Tier durch die Nacht zu schleichen. Es ist, als würde man selbst eines werden.

Ich bahne mir im Mondschein meinen Weg bis Wolken aufziehen. Es wird stockfinster. Verdammt. Immer wieder lege ich mich hin und blicke versteckt auf die Karte auf meinem Handy Bildschirm. Jedesmal wenn man Augen sich gerade an die Dunkelheit zu gewöhnen beginnen Zweifel, ob ich nicht doch falsch gelaufen bin und schaue nach. Es wäre fatal in finsterer Nacht auf einmal vor einem Steilhang zu stehen. Und tatsächlich komme ich einmal von meinem geplanten Weg ab, bemerke es aber rechtzeitig.

Es ist weit nach Mitternacht als die ersten großen Bäume wieder in Sicht kommen. All die Touren in den Wüsten und anderen Gebirgen schienen ihre Spuren hinterlassen zu haben. Ich habe die Höhenlinien der Karte richtig interpretiert und tatsächlich einen einigermaßen begehbaren Abstieg gefunden.

Jetzt ist es nicht mehr weit bis zur Straße. Und danach? Habe ich es geschafft! Oder, wenn ich mal wüsste..

Auf der Karte zeichnet sich weit vor mir ein Bauernhof ab. Oder doch ein Kontrollposten. Was auch immer. Das kann bis morgen warten. Ich breite auf offener Fläche meine Isomatte aus und bette mich unter den Sternen. Die Begegnung mit der Herde wirkt noch nach. Über mir wetteifern die Sterne darum wer am hellsten scheint, der Mond ist untergegangen.

Ein Uhu singt sein Lied. Friedlicher könnte die Welt hier draußen nicht sein. Die Augenlieder werden schwer, vergessen ist jede Grenze und ich schließe die Augen.

Bis ein Donnern mich weckt. Suchscheinwerfer. Sie beleuchten die Bergflanken ein paar Kilometer weiter. Das Fahrzeug schlängelt sich tosend durch die Dunkelheit der Wälder in meine Richtung. Was ist das für ein Monstrum, ein Panzer?

Und so verdammt schnell.

Noch bevor ich irgendeine Entscheidung treffen kann spüre ich grelles Suchscheinwerferlicht auf mich gerichtet. Zwar von weit weg, aber mein verdammter Schlafsack ist hellblau und sicher leicht schon weitem zu erkennen. Jetzt ist es vorbei. Haben sie Wärmesuchgeräte? Wenn ja, sehen sie mich bereits.

Hier vor ihnen wegzulaufen mit dem schweren Rucksack und ohne Tarnung hat keinen Sinn.

Gleich kommen sie mit Knüppeln und Tränengas. Sicher werden sie mir nichts ernsthaftes tun. Ich bereite mich darauf vor mich zu stellen und die Konsequenzen meiner Dummheit über mich ergehen zu lassen.

Nach einer quälenden Minute Regungslosigkeit, die Erlösung. Das Fahrzeug fährt weiter.

Nach dem Schock beginne ich langsam wieder klar zu denken. Mein Schlafplatz ist zu offensichtlich. Wenn sie mich jetzt nicht gesehen haben werden sie mich wahrscheinlich auf der nächsten Fahrt auch nicht sehen, aber besser schlafen werde ich sicher im verborgenen. Viel Ruhe bekomme ich trotzdem nicht in dieser Nacht, in der immer wieder der Motor des Patrouillenfahrzeugs aufheult, sich durch die Berge schlängelt, näher kommt und wieder verschwindet. Mit den Scheinwerfern die Berge absucht. Erst sehr spät verstummt das brummen und ich schlafe ein wenig. Am besten in der frühen Morgendämmerung aufbrechen. Als das erste bisschen Licht am fernen Horizont erscheint bin ich sofort hellwach, packe meine Sachen und gehe los. Mit Elena war es so gemütlich auf dem E4. Aufstehen, entspannt frühstücken, im Fluss ein Bad nehmen. Oft war es schon warm am späten Vormittag als wir uns auf den Weg gemacht haben. Ja, mit Frauen kann man das Leben genießen.

Nun bin ich alleine, wache auf um 6 Uhr, packe zusammen, esse einen Müsliriegel und um 15 Minuten nach 6 habe ich das Gepäck geschultert und laufe los.

Sollte ich nicht eigentlich Hunger empfinden, nachdem ich außer ein paar labbrigen Toast und sparsam rationierten Riegeln nichts gegessen habe?

Ich spüre die physische Leere in meinem Bauch, dass leichte Brennen der Muskeln nach dem anstrengenden Nachtmarsch gestern. Und habe nicht das geringste Bedürfnis mich auszuruhen geschweige denn zu essen.

Diese Straße, die knapp vor bzw. unter mir liegt. Die Straße auf der die Patrouillen nachts kontrollieren. Sie ist der Knackpunkt der Tour.

Ich umgehe das Gebäude, von dem ich nicht weiß, was es ist, weitläufig. Bahne mir meinen Weg im Unterholz bis ich an die Stelle gelange, die ich mir auf der Karte als beste Möglichkeit zum überqueren ausgesucht habe. Eine leichte U – Form an dieser Stelle macht den Punkt von meiner Seite aus gut einsehbar. Sollte auf einmal eine Patrouille kommen bin ich auf der anderen Seite im Unterholz schnell im toten Winkel.

Ich warte auf Motor Geräusche und beobachte die Situation. Nichts. Kein Zaun, keine Mauer. Keine Kameras, zumindest keine offensichtlichen. Eine stinknormale Piste.

Wieder zögere ich lange bevor ich mir einen Ruck gebe. Es gibt eh kein zurück mehr. Na los.

Offene Straße, ich selbst wieder auf dem Präsentierteller, aber weit und breit niemand zu sehen. Auf der anderen Seite fällt die Straße steil ab zu einem Bach und ist voller Dornengestrüpp. Ein Trampelpfad durch den natürlichen Stacheldraht aus Brombeeren befindet sich genau gegenüber von mir. Besser hätte ich es nicht treffen können. Ein lichter, feuchter Eichenwald gewährt mir Einlass. Ich laufe und laufe. Das wär dann jetzt geschafft, oder?

Bumm! Ein lauter Knall hallt wieder von den Bergen

Dann noch ein Schuss. Und noch einer.

Schießen diese Typen hier wild um sich? Haben die am Ende jemanden erwischt? Und bin ich als nächster dran? Weitere Schüsse, diesmal mehr in Folge kommen aus einer anderen Richtung. Das ist kein Einsatz. Das ist Training oder Einschüchterung, oder beides. Und falls es Einschüchterung ist, dann funktioniert sie.

Auf einmal wird die ganze Gegend um mich herum feindlich. In jedem Baum ist eine Überwachungskamera, hinter jedem Busch lauert ein Grenzsoldat.

So richtig geschafft fühlt sich das überhaupt nicht an.

Ich befinde mich mitten in der Griechischen Border Zone.

Wenn die bulgarischen Beamten außer meinen Papieren und meiner Identität sofort meine Geschichte geprüft haben, dann werden die Griechen das auch können. Ich war in keinem Hotel, habe keine Freunde oder bekannte auf Griechischen Boden die bestätigen können, dass ich bei ihnen war. Wenn sie mich in der Nähe dieser Grenze aufgabeln, werden sie schnell herausfinden, wo ich herkomme. Wenn ich auf den Wegen laufen würde, würde ich schnell vorankommen und könnte heute noch aus der Zone rauskommen. Aber nach der Nacht gestern, nach dem ich erfahren habe wie schnell und unerwartet die mit ihren Fahrzeugen aus dem Nichts kommen können. Nein danke.

Wieder Satellitenbilder. Wieder Fäden spinnen. Fünf Routen planen, drei sofort wieder verwerfen. Ein paar Kilometer laufen und feststellen, dass die Berge an dieser Stelle zu steil sind. Müsliriegel zählen. Eine Handvoll habe ich noch. Außerdem eine Trekking Mahlzeit und ein bisschen Reis. An einem Bach fülle ich meine Wasservorräte auf und wasche mich. Ich könnte etwas kochen. Da höre ich ein lautes pfeifen von weitem und zucke zusammen. War das eine Signalpfeife? Lassen sie jetzt die Hunde los?

An Essen ist nicht mehr zu denken. Klamotten wieder an und los. Auf dem Weg einen Steilhangs hinauf gerate ich außer Atem und setze mich für einen Moment. Wieder dieses Pfeifen, ganz nah. Und da sehe ich ihn. Es ist ein Vogel. Ein Gottverdammter Vogel.

Ich will hier raus. Andere haben vielleicht die Nerven für diesen Scheiß…

Ich folge meinen gesponnenen Fäden mal mehr mal weniger erfolgreich. Teilweise kämpfe ich mich tief ins Dornengebüsch, nur um festzustellen das es dort wo ich glaubte, auf lichten Wald zu treffen auch nicht mehr weitergeht. Notgedrungen nutze ich zwischendurch Feldwege und scanne jede Sekunde die Umgebung nach einem geeigneten Versteck, falls ich einen Motor brummen höre. Durch tiefes Gestrüpp querfeldein kann man mit schwerem Gepäck auch gut trainiert kaum mehr als ein paar Kilometer am Tag schaffen, das durfte ich bereits in Sibirien feststellen. Glücklicherweise finde ich bald einen langen Trampelpfad, der gut begehbar ist, aber trotzdem so bewuchert, dass er mit Sicherheit seit einiger Zeit nicht mehr benutzt wird.

Ich gehe diese Nacht mit leerem Bauch ins Bett. Morgen wird alles vorbei sein, ich werde darüber lachen können, aber für heute ist mir das Lachen vergangen.

Wieder singt der Uhu sein Lied.

Wieder wecken mich das erste Schimmern des Lichtes am Horizont und stellt mich auf die Beine.

Der Wanderer in der Morgenstimmung

Hunger, Müdigkeit. Ich weiß, das ich mindestens eins von beidem empfinden müsste, aber da ist nur der Wille hier herauszukommen, der scheinbar ein Fass unendlicher Kraftreserven angestochen hat.

Nach Tagen der Plackerei durch das Dickicht bin ich in einem abgelegenen Tal mit einem markierten Wanderweg, der mich bis nach Serres. Serres ist so weit weg von der Illegalen Grenze, dort wird keiner auf die Idee kommen zu fragen wo ich herkomme egal wie ich aussehe. Das Tal ist malerisch. Ich labe ich an dem kühlen Nass. Endlich in Sicherheit. Die erste warme Mahlzeit, eine kleine Portion Reis mit Gemüse soll neue Energie geben.

Stattdessen wird mein Blick immer trüber. Mir wird schwindelig. Das wars. Der survival Modus ist jetzt vorbei. Jetzt holt sich mein Körper zurück was ich ihm die letzten Tage angetan habe. Mühsam schleppe ich mich einen langen Nachmittag über bis zu einem Kloster, nehme von dort ein Taxi und checke in das nächstbeste günstige Hotel in Serres ein. 

Das Pirin Gebirge strahlt Elena und mir im vollen Glanz der Sonne entgegen. Keine Spur mehr vom Nebel oder geschweige denn dem Schnee. Wir baden im eiskalten Bergsee. Die Gipfel des Pirin sehen wir von weitem immer noch in die Wolke stechen.

“Als ich dich da am letzten Abend in Bansko am Marktplatz sitzen gesehen habe, sahst du selbst aus wie so ein Straßenköter”, zieht Elena mich auf.

“Ich musste mir einfach vorstellen wie irgendwo ein dickbäuchiger Touri Rila mitgenommen hat und sie jetzt als Schoßhündchen in seiner Wohnung in der Innenstadt hält.

Sie ist Wild. Sie gehört nach draußen.”

“Denkst du wirklich Rila würde sich einfach mitnehmen lassen.”

“Ja stimmt schon irgendwie”, knurre ich zurück.

Noch mehr klare Bergseen ziehen zwischen knorrigen Büschen und hellem Fels an unseren Schritten vorbei. Karge Hochgebirgslandschaft aber man kann das mediterrane Klima und die Weinberge am Fuße der Berge schon riechen. Eine Gruppe junger Franzosen kommt uns entgegen. Wir unterhalten uns kurz. Sie sind schon länger auf Tour, eine ähnliche Route wie wir. Ich erzähle von der Hündin, die uns gefolgt ist, zeige ihnen ein Foto. “Das ist Joey, das ist Joey!” antwortet er völlig aus dem Häuschen. Sie hat mich vor ein paar Wochen durchs Rila Gebirge begleitet, drei Tage lang. Ich habe sie Joey genannt.Dann war sie auf einmal weg. Mit offenem Mund lassen die Franzosen uns stehen.

Und du hast gedacht, du könntest sie besitzen. Sie ist dir gefolgt. Sie hat sich dich ausgesucht. Hat uns begleitet und ist gegangen als sie gehen wollte, vermutlich um den nächsten Wanderern zurück Richtung Sofia zu folgen.

Ich liege nun mit Fieber und Mandelentzündung flach im Bett von dem leicht schäbigen Altbau – Hotel in Serres. Ich habe mir diese Tortur freiwillig angetan. Aus Spass. Was hätte mir schon passieren können, ein paar tausend Euro Geldstrafe, eine Nacht im Knast. Meine Gedanken sind bei den Menschen die sich nicht aus Spass vor Soldaten verstecken. Und die mehr zu befürchten haben als eine Geldstrafe. Ich habe erfahren wie es ist alleine auf der Flucht zu sein. Und selbst wenn es aus eigener Wahl wahr, war es ein schreckliches Gefühl. Menschenunwürdig. 

Ständig muss ich an Rumens Worte denken. Geh den rechten Weg mein Junge, den rechten Weg. Ich weiss wie er die Art wie Elena ihr leben lebt missbilligt. Für ihn gibt es immer diesen einen rechten Weg.

Die einen sind wie er, der Fels in der Brandung der Familie. Andere möchten nicht ohne Begleiter und wieder andere verlassen ihr Zuhause und finden Heimat da draussen in den Wäldern und Bergen, brauchen die Gefahr um sich lebendig zu fühlen. Nennt es doch Unbeständigkeit oder Flucht vor mir selbst.

Ich nehme ein schluck vom Tee auf dem Nachtisch, greife zu meinem Telefon und schreibe Elena eine Nachricht: 

Richte Rumen bitte etwas aus: 

“der rechte Weg, ist für jeden ein anderer.”