An den Ufern des Baikal (Sibirien 2019)

31. Juli 2019 

02.08.2019   Tag 1

Die Sonne scheint und die Gegend erinnert mich ein bisschen meine Urlaube in der Kindheit an der Ostsee nur mit wesentlich mehr Bärenspuren im Sand.

Ich habe mich an der Angarsky Zakaznik Rangerstation ganz im Nordosten des Sees absetzen lassen und laufe Richtung Süden. Ein paar andere Wanderer haben auch an der Rangerstation gecampt, die nächsten zwei bis drei Tage werden wohl erst einmal eine weniger einsame entspannte Sommerwanderung am See wie es aussieht. 

Nanu, was ist denn das? Direkt am Wegrand liegt ein Tierschädel mit nur einem verbleibenden Eckzahn, von der Grösse her kann das doch eigentlich nur ein Bär sein, was für ein Geschenk am ersten Tag, der Reisszahn eines Bären, mit meinem Messer kratze ich ein loch in den Zahn und hänge ihn mir an einer Schnur um den Hals, der Bärenzahn, möge er mir Glück bringen.


Es ist Abend, schon wieder Boote am Horizont

Ein paar hundert Meter neben mir machen sich Einheimische breit, Angler oder Jäger. 

Das Feuer am Kiesstrand prasselt direkt vor mir und bruzzelt mich wie ein Dönerspiess, nicht das mir kalt wäre, im Gegenteil es ist ein lauer Abend aber ich brauche es um mir die Mosquitos vom Leib zu halten. Normalerweise übernimmt zumindest am Ufer des Sees der Wind diese Aufgabe, die Mosquitos fern zu halten aber heute Abend nicht, kein Lüftchen weht und so liegt der See Spiegelglatt vor mir während die Sonne hinter den Bergen am anderen Ufer von Vater Baikal versinkt.

Menschen. Warum stört es mich so sehr sie in meiner Gegenwart zu wissen, diese Jäger oder Angler oder was auch immer. Es ist jetzt nicht so das ich generell etwas gegen Menschen habe, aber wenn ich alleine unterwegs bin fühle ich mich doch wesentlich besser wenn ich niemanden um mich herum weiss. 

Als ich einem ebenfalls Wildnis erfahrenen Freund von meiner geplanten solo Tour erzählte warnte er mich:

“Alle bereiten sich auf die Gefahren der Natur vor aber sei vorsichtig, die Bären sind nicht die größte Gefahr in Sibirien, die Menschen dort, sie können unberechenbar dort oben, vor denen solltest du dich in acht nehmen!” 

Ich habe Menschen zu Tieren werden sehen in Afrika und ich weiss das sie es überall auf der Welt werden wenn man ihnen Hoffnung nimmt und sie abhängig macht.

In meinem Topf im Lagerfeuers kocht Reis, hinter mir raschelt es Im Dickicht. Sind es die Einheimischen oder womöglich ein Bär, letzteres wäre mir ehrlich gesagt um einiges lieber. Hätte ich mal wenigstens eine richtige Waffe dabei, einen Revolver oder ähnliches. 

Der Reis köchelt auf der Glut und ich habe meine Cognac Reserven schon mehr strapaziert als ich eigentlich wollte. 

Gerade als die Mahlzeit fertig ist und ich beschlossen habe mit dem Trinken aufzuhören und zu essen kommt ein Boot und hält direkt vor meiner Nase. Drei Männer laden sich ungefragt selbst zu meinem Lagerfeuer ein, na herzlichen Glückwunsch. Zuerst ein wenig genervt versuche ich so gut es geht unvoreingenommen zu bleiben. Wenn man Einheimischen Menschen mit Argwohn begegnet unterstellt man ihnen indirekt das sie schlechte Menschen sind und sie einen ausrauben wollen oder gar schlimmeres. 

Wenn sie in deine Augen Blicken und Angst sehen werden sie sich angegriffen fühlen, wenn man dann am besten noch schnell Wertsachen umklammert unterstellt man ihnen inderekt sie wäre Banditen und wenn sie welche sind werden sie nicht zögern deine Befürchtungen wahr zu machen. Wenn man ihnen hingegen mit Vertrauen begegnet nehmen sie es als Kompliment, man zeigt ihnen so das man sie für gute Menschen hält. 

Also heisse ich die Männer willkommen an meinem feuer, Wodka und ein Wurstbrot werden mir angedroht, wer bin ich da nein zu sagen. 

Schon bald kommen mehr Boote mit Männern und gesellen sich zu uns, in ihren Gesichtern kann ich sehen das sie arme Männer sind, Trinker, bald stehen etwa zehn grimmig drein Blickende Männer um mich herum und mir wird mulmig zu mute. 

Der Mann der neben mir am Feuer mit der Wodka Flasche scheint ihr Anführer zu sein, er übernimmt die meiste Zeit das Wort und wenn er redet hören die anderen aufmerksam zu. 

Wir scheinen hier mindestens so lange sitzen zu müssen bis der Wodka leer ist denke ich mir und hoffe das es nicht zu lange dauert, die müssen ja auch noch irgendwann mal ihr Nachtlager aufschlagen. Immer wieder kriege ich nach geschenkt, nur ich und der Anführer trinken, die anderen stehen daneben und schauen zu. Gemütliche ein bisschen was trinken wollte ich ja sowieso aber das hier scheint eher eine Art test zu sein wie Trinkfest der Deutsche Touri ist, zudem hatte ich ja schon einen Sitzen bevor die Männer kamen. Ich reiße mich zusammen und ziehe durch, einen nach dem anderen in dem Gewissen das ich nach dieser Flasche ein wehrloses Opfer sein würde. 

Um nicht schwach zu wirken reisse ich mich zusammen und setze mich aufrecht hin, die Arme abgestürzt auf die Knie, Bauarbeiter Pose. Ich bin einer von euch auch wenn ich nicht eure Sprache spreche.

Sie reden über mich, ich höre mehrmals meinen Namen und der größte von Ihnen, ein Mann mit kantigem Gesicht von Akne gezeichnet schaut mich an als wäre ich saftiges Stück Filet auf dem Fischmarkt. Ihre Blicke und die Art wie sie reden lassen mich davon ausgehen das sie diskutieren ob sie mich ausrauben sollen oder nicht. 

Ich fummele an meinem Angelzeug herum und lasse die Klinge meines Jagdmesser demonstrativ aufblitzen um ein Stück Angelschnur zu schneiden, wenn ihr mich haben wollt dann versucht es doch, aber einfach werde ich es euch nicht machen. 

Meine Flöte liegt noch neben mir, warum nicht einfach mal die Spannung brechen und ein Ständchen spielen. 

Zwei der Männer lachen als ich anfange zu spielen, der Anführer aber lauscht aufmerksam den Klängen meines holzblasinstruments und bald werden auch die anderen still und bedächtig.

Glibbriges Rindfleisch aus der Dose blubbert auf einer Pfanne im Feuer.

Der Mann mit dem Wodka redet in einem gefühlt ewigen monolog auf seine Kumpanen ein, sie wirken nachdenklich, keiner antwortet. Daraufhin wendet sich zu mir und hält mir die Pfanne hin: “Fabian moi drug” : sein Freund bin ich sagt er, schaut mich an und lacht mit einem väterlichen Ausdruck in seinem Gesicht. 

Anscheinend funktioniert Die Flöte nicht nur um Frauenherzen zu betören sondern auch die von Holzrussen. 

Ich habe vertrauen Geschenkt und würde belohnt, aus einer potentiellen Gefahr wurde ein Freund, wenn auch eine sehr zweifelhafte Freundschaft. 

In diesem Fall war die beste Waffe gegen den bösen Menschen wohl einfach eine portion Offenherzigkeit.

Ich esse ein wenig von dem Fleisch und nach ein paar weiteren Schüssen Wodka ist die Flasche leer, ich suche meine Sachen zusammen und wanke in mein Zelt. Ich habe ordentlich einen Sitzen aber gehe dafür mit dem Gewissen ins Bett heute Nacht gut schlafen zu können.

04.08.2019 Tag 3

Ein kleines Lehrgeld musste ich abgesehen vom dem heftigen Kater wohl doch zahlen. Erst später habe ich bemerkt das meine Taschenlampe fehlt, die taktische Taschenlampe mit der Stroboskop Funktion mit der ich mich vor den Bären verteidigen wollte. Kann es sein das ich im Suff vor den Fischern mit der Taschenlampe rumgespielt habe, sie dann liegen gelassen habe und pinkeln gegangen bin. Die Erinnerung ist verschwommen aber ja, so war es scheinbar. Na wenn man so dumm ist mit seinem high-tech Spielzeug vor den Fischern rumzuspielen dann braucht man dich auch nicht wundern wenn sie es sich ausleihen, ich bin mir sicher sie wird ihnen gute Dienste leisten. 

Wie soll ich mich jetzt vor Bären verteidigen?

Zunächst einmal muss man sagen das die Wahrscheinlichkeit eines Bären Angriffs doch sehr gering ist. Ich habe mit Leuten gesprochen die schon seit Jahren am Baikal unterwegs sind und noch nie einen gesehen haben, und selbst wenn man welche sieht, Mensch steht nicht auf ihrem Speiseplan. 

Es kann allerdings sein das man ausversehen einen Bären in die Enge treibt ohne es zu bemerken, hier an der Küste in offener Landschaft wird das wohl kaum passieren aber im Gebirge in engen Tälern schon eher. 

Im schlimmsten Fall ist das dann noch eine Bären Mutter mit jungen, und wenn man richtig richtig Pech hat erwischt man einen Bär der einfach angreift ohne Grund, ja auch Tiere können manchmal unberechenbar sein das ist allerdings extrem selten. 

Nun habe ich meine Notsignalpfeife um den Hals die schrille Laute von sich gibt die den Bären schonmal irritieren können, und meine Messer. Ein Messer bringt bei einem Bären Angriff um sich zu verteilen technisch praktisch nichts, macht es einen aber doch fühlen als hätte man etwas in der Hand, es macht einen mental stärker und hilft somit die geistige Einstellung zu bewahren die man braucht um den Bär in die Flucht zu schlagen.

Seit heute morgen haben ich einen neuen Freund. Ich habe in einer der Hütten geschlafen die am See stehen und nach einer Gewitternacht mit nur wenig Schlaf habe ich am frühen Morgen ein Bellen gehört. Als ich nach dem aufstehen zum See gehe läuft sie auf mich zu, wie ein Wollknäuel mit Beinen und quietschlebendig rennt sie zu mir und springt mich an.

Aha hm, Erziehung hast du also nicht genossen, na bei dem fell sieht man ja auch wo du aufgewachsen bist. Sie ist hier aufgewachsen, in der Wildnis, alt kann sie nicht sein. Ich erinnere mich an eine Story wo halb verwilderte Hunde Freunde auf einer Expedition auf Kamtchatka begleitet haben, ich hätte eigentlich auch nichts gegen ein bisschen Gesellschaft, vielleicht kann sie ja sogar jagen oder mindestens als Alarmanlage hilfreich sein nachts für die Bären. 

Ob sie bei mir bleiben wird wer weiss. Wollkneuel ist ganz schön lang für einen Namen was, na dann eben einfach nur Kneuel.

Ich gebe ihr ein wenig Trockenfisch und einen Rest von meinem Reis, es ist bei Hunden so wunderbar einfach sich Liebe und Treue zu erkaufen. Nachdem ich wieder ausgiebig rumgetrödelt habe gehe ich los am Ufer des Baikal entlang. Keine Knäuel. Da habe ich mein gutes Essen gegeben und jetzt, undankbares Miestvieh. War wohl doch schlecht investierte liebesmüh, warum ärgere ich mich überhaupt so, es ist doch nur ein Hund und ich wollte doch eh alleine sein. 

Der sanfte Waldweg im Kiefernwald oberhalb des Strandes endet und ich gehe in den Hühnereigrossen Steinen des Kiesstrandes weiter bis auf einmal aus dem Wald ein weißes Fellbüschel neben mir auftaucht. Kneuel, du bist es! Ich wusste doch so schnell lässt du mich nicht allein. 

Die Sonne scheint und der Baikal zeigt sich in seiner ganzen Schönheit. Ein schmaler Küstenstreifen lässt das Ufer sanft ins kristallklare Wasser gleiten, an Land bestimmen knorrige Kiefern Wälder die Landschaft, war das nochmal Ostsibirien oder nicht doch Kalifornien?

Ich wische mir die Mosquitos von der Hand ab, wieder etwa zehn neue Stiche, achja, also doch Sibirien. 

Ich komme nur sehr langsam voran, was einerseits an dem noch ungewohnt schweren Rucksack liegt hauptsächlich aber an den zu verführerischen Ablenkungen am weg. 

So probiere ich immer mal hier und da wenn ich meine eine geeignete Stelle gefunden zu haben meine Angel aus, genieße die Landschaft, schreibe meinen Reisebericht oder lege mich nackt in die Sonne. 

Gestern bin ich gerade erst ein paar Kilometer gelaufen als ich sie sah: schwarze Köpfe ragen neben dem Ufer vorgelagerten Felsen aus dem Wasser, die Baikalrobben, die einzige Robbenart die im Süßwasser lebt.

Ich beobachte sie durch Kiefern gebüsch mit meinem fernglas, wunderschöne Tiere, sechs oder sieben an der Zahl und mindestens ein Jungtier ist auch dabei. Die robben tauchen in regelmäßigen Abständen ab, ich nutze die Zeiträume in denen sie unter Wasser sind um mich näher ans Ufer zu schleichen. Mal schauen wie nah ich ihnen kommen kann. Ich ziehe mich aus und gehe ins Wasser, langsam und vorsichtig den direkten Blickkontakt meidend. Keine 10 Meter sind sie nun mehr entfernt, als ich noch näher heran schwimme suchen sie allerdings das weite. 

Der Fels auf dem eine der Robben lag, warum nicht dort hinlegen und warten vielleicht kommen sie ja wieder. Ich lege mich bäuchlings auf den Stein in der Sonne, Vielleicht hätte ich meinen Hintern zu Tarnungszwecken etwas mehr vorbräunen sollen, der ist so weiß die sehen die mich doch von Kilometern. 

Irgendwie fühlt es sich gut an, so nackt auf einem Stein rumzuliegen. Wie wundervoll muss es sein eine Robbe zu sein, den ganzen Tage herum liegen, im glasklaren baikal herumschwimmen und fische jagen. 

Ich mache die Augen zu und spüre Liebe zu diesen Tieren in mir aufsteigen, Ich weiss ja das ich keine Robbe bin aber man kann es ja mal versuchen, es fühlt sich einfach so gut an. 

Ich schlage meine Hände wie Flossen vor dem Bauch zusammen, gebe eine lautes auuugh auuugh von mir robbe mich ein wenig nach vorne und lasse mich in das kalte wasser gleiten um ein paar züge durch das Meer Sibiriens zu tauchen. 

Ich bin mir sicher das ich dabei einfach nur unglaublich dämlich ausgesehen haben muss, na ein glück das ich mitten in der Wildnis bin und hier niemand ist der mich sehen konnte. 

Die Frohlika Bucht, ein weisser Strand an dem der gleichnamige Fluss in den See mündet, das Tal umringt von mit Urwald bewachsenen Bergen an dessen Gipfeln Felsen aus den Baumkronen ragen.

Neben der Frohlika ein grosses Schild: Angeln verboten, doch nicht so die hinterletzte Wildnis was. Ja ich habe es schon wieder verdrängt, die Frohlika und die Ayaya Bucht sind touristisch sehr beliebte Ziele, viele Russen lassen sich mit dem Boot in die malerische Bucht bringen bringen um Tageswanderungen zu machen. Dann muss ich doch noch ein letztes Mal durch die Welt der Menschen bevor es in die Wildnis geht. 

Nachdem ich die Frohlika mittels meines 30 euro Tropicana Schlauchbootes überquert habe treffe ich ein Deutsch – Russisches paar zusammen mit einem russischen Ranger an einer Hütte. 

Ein riesen Teller gegrillte Hecht liegt auf dem Tisch, übrig geblieben vom mittag, ob ich den essen will, na da sag ich doch nicht nein. 

Ich zeige ihnen meine Route und habe Glück das die Frau für mich übersetzen kann,  so kriege ich von dem Ranger noch ein paar Informationen über mögliche routen.

Als ich ihm meine geplante Route auf der Karte meines Handys zeige schüttelt er den Kopf, unmöglich sei das. 

Unmöglich hm, einerseits ist es unvernünftig eine Route zu gehen die einem von einem local abgeraten wird, andererseits hatte ich nicht das Gefühl das der Ranger die Gegend wirklich aus eigener Erfahrung kennt, das Wort unmöglich triggert mich auch immer so, unmöglich, ja für ihn vielleicht, werden wir schon sehen wie unmöglich das ist. 

Das Gespräch mit dem Ranger geht weiter, ich darf nicht mit meinem eigenen Boot über den See übersetzen, ich müsste eines nehmen und dafür Geld bezahlen. Na herzlichen Glückwunsch, es ist überall das selbe, wo Touristen sind die Geld bringen sind auf einmal gleichzeitig schwachsinnige Regeln und Gesetze die dazu dienen ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen, andererseits naja gut wenn jeder Tageswanderer mit seinem Schlauchboot auf dem Frohlikhasee rumfahren dürfte dann würde es in dem Wilden Gewässer bald aussehen wie in jedem zweiten deutschen Baggersee. 

“Ist das dein Hund? Es ist verboten in dieser Gegend mit Hund unterwegs zu sein.” 

“Aha. Es ist nicht mein Hund  er folgt mit nur, was soll ich machen?” 

“Man könnte sie in eine Auffangstation bringen, sie hat eh keine Chance den Winter hier draussen zu überleben.”

Eine Auffangstation, und das auch noch in Russland, ein Tier das in der Wildnis, in Freiheit gross geworden ist. Und dann? 

Entweder ein Leben im Käfig oder bestenfalls als Schoßhündchen irgendeiner alten Dame eingesperrt in einer Wohnung leben, ein Tier das es gewohnt ist frei zu sein in der Wildnis. 

Lieber ein kurzes, Intensives und freies Leben als ein langes in Gefangenschaft, genauso würde ich es für mich bevorzugen, ich werde hier nicht anfangen aus senitimentalität am Ende nur ein Leben voller Leid zu bescheren.

Andererseits sie zurücklassen mit dem Gewissen das sie sterben wird, ein unschuldiges Lebewesen. Ich darf den Hund mitnehmen vorerst, naja Immerhin dann brauche ich das ja alles jetzt noch nicht entscheiden. 

05.08.2019 Tag 4

Einen Tagesmarsch später bin ich in der nächsten Bucht angekommen, Ayaya heisst sie, mindestens so schön wie die frohlika Bucht und der letzte Ort an der Küste von dem aus ich in drei unberührte Wildnis der Berge starte.

“Du hättest den Hund nicht mitnehmen sollen, jetzt ist er dein Problem. Hunde sind nicht gut in der Wildnis, vor allem dürfen sie nicht frei herum laufen, sie jagen die Vögel und vor kurzem zum Beispiel hat ein Hund einen Fuchs verstümmelt.”

Ich habe Glück das ich wieder einmal jemandem zum übersetzen gefunden habe auf dem Campingplatz in der Ayaya Bucht, die Betreiber des Platzes und ein Ranger setzen mir gegenüber.

, “Aber dieser hier ist doch niemals in der Lage einen fuchs zu kriegen, geschweige denn einen Vogel.”

“Wenn ein bär auf den Hund losgeht, dann wird der Hund bei dir Schutz suchen und der Bär geht auf dich los. Das ist kein Jagdhund, der kann dich nicht beschützen.”

“Habt ihr einen Jagdhund für mich?” 

“Nein” 

“Es ist nicht gut wenn du den Hund mitnimmst, du kannst ihn hier lassen aber wir können ihn dann nicht frei rumlaufen lassen wegen dem Naturschutz, wenn er hier bleibt erschießen wir ihn, so sind die Regeln.”

“na dann ist ja alles klar” 

Die Frau des Rangers dem der Platz gehört an dem ich umsonst nächtige serviert mir einen Teller mit Suppe und einen Tee, Kneuel bekommt eine saftige Portion Fleisch und Wasser, sie basteln ein improvisiertes Halsband aus einem alten Gürtel und einer Schnur und geben mir einen Strick als Leine.

Ich wusste ja vorher das ein Hund im Bärengebiet nicht die beste Idee ist, ich weiss auch nicht was ich mir dabei gedacht habe, ehrlich gesagt habe ich wohl insgeheim gehofft das sie irgendwann mal einfach kehrt macht oder mich nicht wieder findet und mir so die Entscheidung abnimmt.

Bisher war ja auch alles offen, ich hätte sie ja jederzeit loswerden können aber wenn es nun heißt entweder sie kommt mit oder sie wird erschossen dann muss sie wohl mitkommen. Sie draussen in der Natur ihrem Schicksal zu überlassen damit hätte ich gerade noch leben können aber sie höchstpersönlich zur Schlachtbank zu führen, nein das kann ich nicht. 

Was habe ich mir da nur eingebrockt mit diesem verdammten Hund, naja wer weiss wofür er noch gut ist jetzt habe ich keine Wahl mehr.
Wir sitzen am Esstisch, der russische Tourist der für den Ranger übersetzt starrt mich unablässig an als hätte ich komplett den Verstand verloren und redet Sorgenvoll auf mich ein:

“Sag uns wann du wieder kommst damit wir nach dir suchen können falls du es nicht schaffst!”

“10 Tage.”

“und du willst wirklich alleine da rauf gehen?” 

“ja es ist nicht das erste mal, ich weiss was ich tue” 

“Hast du Kinder?” 

“Nein, juckt also niemanden wenn ich sterbe”, witzele ich und als er es übersetzt fangen alle am Tisch an zu lachen, na wenigstens Galgenhumor versteht man hier noch. 

Zum Abschied kriege ich noch ein von Herzen kommendes “wir beten für dich”, langsam wird es ernst. 

Gerade sitze ich in meinem Zelt, Kneuel liegt draussen erschöpft von dem marsch und angeleint an einem Baum und schläft. 

Es ist soweit, ich habe den Frohlikasee hinter mir gelassen und befinde mich im Niemandsland.

Als ich den gleichnamigen Fluss hinter dem Frohlikasee nach Nordosten gefolgt bin geht bereits die Sonne unter. Der Himmel schimmert rot vor mit Wald bedeckten Bergen, ab jetzt kommt nichts mehr, nur noch Felsen, Flüsse und Wälder, die Wahrscheinlichkeit hier noch auf andere Menschen zu treffen geht gegen Null, obwohl ich noch nie hier war fühlt es sich an wie Heimat.

Die Mosquitos nehmen langsam überhand, ich muss mir schleunigst einen Platz zum Schlafen suchen und was mache ich mit diesem Hund, soll ich sie frei rumlaufen lassen damit sie mir am Ende noch mit einem Bären zurück kommt der mich anschließend aufisst. Mal wieder diese ganzen Fragen. Erst einmal schlafen, die Nacht wird schon antworten bringen. 

07.08.2019   Tag 6

Ich liege in meinem Zelt und höre neben mir den Fluss rauschen dem ich hoch in die Berge folge. Die letzten zwei Tage waren eine Plackerei durch Gestrüpp, über Fels und durch Flüsse, heute bin ich Luftlinie gerade mal fünf Kilometer vorangekommen und bin völlig erschlagen. Der grosse Witz ist ja das ich noch nicht einmal sicher sein kann das ich am Ende dieses Tals einen Weg über den Pass finde, die Höhenlinien auf den Karten sehen zwar so aus zwar als könnte es einen geben, dem gegenüber steht aber die Aussage des Rangers der die Route für unmöglich erklärt hat. Wenn ich Pech habe stehe ich nach mehreren Tagen Plackerei dort oben und muss wieder umdrehen und einen anderen Weg suchen, so ist das eben wenn man in unerkundetes Territorium vordringt.

Ich habe entschieden Kneuel nachts vor meinem Zelt anzuleinen, wenn sie schon zu sonst nichts nütze ist will ich ihn wenigsten als Bärenalarmanlage in meiner Nähe wissen wenn ich schlafe. Tagsüber lasse ich sie von der Leine, in diesem Dickicht durch das ich mich Prügeln muss kann ich unmöglich eine Leine halten mal abgesehen davon das sie nie gelernt hat an der Leine zu gehen. 

Tatsächlich scheint sie abgesehen von emotionalen Beistand eigentlich nichts zu können, sie jagt zwar immer wieder den Streifenhörnchen hinterher allerdings ohne Erfolg. Ich habe auch versucht ihr zu zeigen das die Blaubeeren essbar sind, aber selbst da ist sie nicht auf die Idee gekommen sie von selbst pflücken zu gehen, jetzt muss ich sie auch noch von meinen Vorräten mit ernähren, zum Glück habe ich mehr als genug Essensreserven eingepackt. 

Um mich im Falle eines Angriffs vor Bären verteidigen zu können habe ich nun eine neue Lösung gefunden, eine etwas archaischere als eine stroboskop Taschenlampe, aber besser als nichts. 

Eine junge Birke dient mir als Grundlage für meinen Speer, es ist ein massiver, schwerer Speer. Die Theorie ist das wenn ein Bär mich angreifen sollte und er auf mich zu rennt ich den Speer in den Boden rammte und der Bär beim Versuch sich auf mich zu stürzen sich selbst aufspießt.

Ok das hört sich jetzt ziemlich verrückt an, aber die Idee dahinter ist eher überhaupt etwas gegen einen Bären in der Hand zu haben ausser einer Trillerpfeife und einem Zahnstocher Messer, ein langer Stock ob angespitzt oder nicht ist sowieso eine Wirksame Abschreckung. Bären haben schlechte Augen, wenn man einen dicken Ast oder besser einen Baumstamm über dem Kopf hält und sich groß macht wirkt man für die schlecht sehenden Tiere wie ein Monstrum und in den meisten Fällen wird das in Kombination mit lautem Gebrüll oder einer Trillerpfeife schon ausreichen um sie in die Flucht zu schlagen. 

Vor kurzem habe ich von einem befreundeten Guide die Geschichte gehört wie er einen Bären Angriff in Alaska nur knapp überlebt hat. Er hat gesagt es ist zwar sehr sehr unwahrscheinlich das ein Bär dich wirklich angreift, aber wenn er es tut dann ist das einzige was dich retten kann deine innere Einstellung, du brauchst die “don’t fuck with me” Einstellung. 

In Erinnerung an seine Geschichte ritze ich die Letter DFWM!, “don’t fuck with me!” In den Griff meines Speers.

Ob ich im Ernstfall mit einem angespitzten Stock eine Chance gegen einen ausgewachsenen Bären habe lassen wir jetzt mal dahingestellt, aber wie gesagt die Praxistauglichkeit der Waffe ist eher psychologischer Natur. 

Die grossen Felsen hier sind oft so dicht bewachsen mit flechten das man gar nicht richtig sieht wo die Zwischenräume sind, man läuft mehr oder weniger blind über hunderte von löchern in denen man sich die Beine brechen kann, es ist extrem gefährliches Terrain.

Dann gibt es die Stlanik, der Russische Begriff für kurz gewachsenes Kiefer Gebüsch, das zu durch kraxeln ist zwar weniger gefährlich aber brutal Anstrengend.

oft ist es so dicht das es an Land gar nicht weiter geht und so laufe ich durch den Fluss dessen Bett aus rutschigem Geröll besteht oder springe mit meinen über 25 Kilo auf dem Rücken über Felsen die aus dem Wasser heraus ragen. Wie oft ich heute hingefallen bin, sei es durch abrutschen auf glatten Steinen oder beim erklimmen von Felsen oder Abhängen habe ich irgendwann aufgehört zu zählen, die Mosquitos in diesem sumpfigen Urwald sorgen für die zusätzliche Psychische Belastung, es ist ein brutaler Gewaltmarsch.

Pause machen im Mosquito Schutzanzug

Tatsächlich stellt sich schnell heraus das der Speer auch als Gehhilfe wesentlich besser taugt als meine Trekking Stöcke, da er um einiges länger ist was beim herunterklettern von Felsen und abhängen sehr hilfreich ist, ausserdem gibt ein massiver Stock besseren Halt beim regelmäßigen durchqueren des Flusses. 

Von Bären gefressen zu werden oder von einem Waldbrand erwischt zu werden wären ja filmreife Szenarien für das Ende dieses Trips, aber wenn das so weiter geht ist die Wahrscheinlichkeit das ich mir das Bein in einer der Lücken zwischen den Steinen breche oder das ich beim springen von Fels zu Fels abrutsche und mich verletze um ein vielfaches höher. 

Ja es gibt Gründe warum die Gegend so abgelegen ist, aber ein bisschen muss man ja auf Schmerzen stehen um so etwas zu machen und es lohnt sich hundert mal.

Das Tal ist so wild und unberührt, immer wieder schaue mich um und kann es kaum fassen, wer weiss wann hier oben das letzte mal ein Mensch war, das alles gehört nur mir, der Fluss teilt sich immer wieder und führt wieder zusammen.

Auf einmal stehe ich in einem Becken mitten in der Sonne und Blicke hoch in die Berge. Die undurchdringliches Kiefernwälder lichten sich langsam und gehen in Felsenmeere über, ich habe es geschafft, nach drei Tagen Plackerei durch das Tal bin ich nun endlich bald im Hochgebirge angekommen. Nach drei Tagen undruchdringlichem Djungel stehe in dem glasklaren Wasser des Gebirgesbaches und habe das erste mal freie Sicht auf mein Ziel, die Gipfel des Barguzin Gebirges.


09.08.2019   Tag 8
Den Urwald habe ich nun hinter mir gelassen und mein Camp befindet sich im Tal zwischen den Gipfeln nahe eines weiteren Wasserbeckens.

Mein Pausentag sollte das eigentlich werden. Die Knie tun weh und die Muskeln in Rücken und Beinen schreien nach Regenerationszeit.

Aber das Tal weiter oben sieht so verführerisch aus, auf der Karte sind zwei weitere Seen eingezeichnet, ob da wohl Fische drin sind?

Ausserdem wäre es gut zu wissen ob der Pass am Ostende des Tals begehbar ist. 

Na dann, daypack gepackt und los geht es auf einen kleinen Nachmittagsausflug.

Der See glitzert wunderschön in der nachmittagssonne, es ist wirklich Hochgebirge hier, felswüste mit ein paar kleinen Kiefern und Wachholderbüschen bestimmen das Bild, und das gerade mal auf knapp zweitausend Meter über dem Meeresspiegel. Die offene Landschaft und der Wind sorgen sogar dafür das die Mücken Tagsüber praktisch nicht vorhanden sind was den Entspannungsfaktor im Gegensatz zu den Tagen vorher um ein hundertfaches hebt.

 

Leider keine Fische im See also weiter, ich suche von weitem mit dem Fernglas nach möglichkeiten den Pass zu erklimmen. 

Gerade hoch über die großen Felsen sollte gehen, ich hiefe mich hoch um dann weiter durchs Kieferngebüsch zu klettern. Oben angekommen werde ich mit einer atemberaubenden Aussicht belohnt, der grosse U förmige see auf der anderen Seite, das Tal  in dem mein Zelt steht mit den mehreren kleinen Seen auf der andern.

Gerade bin ich zurück von dem Abstieg und fertig mit den Nerven. Oben bin ich herumgelaufen um einen besseren Blick zu bekommen ob der abstieg auf der anderen Seite möglich ist, nach dem was ich gesehen habe ist er es, nur extrem steil und Aufgrund von lösen Geröll sehr gefährlich, vor allem wenn man noch 25 Kilo auf dem Rücken hat. Ich trete direkt am Steilhang auf eine Steinplatte die anfängt sich zu verschieben und verliere fast das Gelichgewicht, Adrenalin kommt hoch, verdammt was machst du hier schon wieder. Ich erinnere mich, es gibt da doch diesen Film wo ein Kerl 72 Stunden zwischen Felsen eingeklemmt ist, ich habe eigentlich gar keine grosse Lust ein Remake davon zu machen.

Also gut ein paar mal durchatmen, Ruhe bewahren und dann weiter, es wird wohl schon bald dämmen also runter mit mir. Moment mal, wie bin ich eigentlich nochmal hier hoch gekommen, von meiner Position aus ist es durch das Kieferngebüsch unmöglich zu sehen welcher Abstieg begehbar ist und welcher nicht. Ich entscheide mich für den schnellsten Weg, straight bergab, Kneuel hinter mir, ich hätte sie im Camp anleinen sollen dann hätte sie sich wenigstens erholen können. 

Die dicken biegsamen Kieferäste geben guten Halt beim nach unten klettern, unter mir geht es ca. 4 m in die Tiefe, danach steil abfallendes Felsenmeer, das Gestein ist brüchig, na hast es mal wieder geschafft. Tatsächlich bin ich ein paar Minuten später mit klopfendem Herzen unten angekommen, da höre ich von oben ein quieken. Verdammt Kneuel! Sie scheint nicht so kletterfähig zu sein, habe ich auch nicht erwartet, ich habe eher gehofft das sie auf die Idee kommt sich einen einfacheren Weg aussenrum zu suchen. Ich gehe bergab und beschließe sie wird den Weg schon alleine finden aber das quieken hört nicht auf.

Auch wenn es vielleicht eine rührende Geschichte abgeben würde aber ich habe eigentlich gar keine grosse Lust für einen Hund draufgehen. 

Andererseits, alleine wäre sie nie da hoch gegangen, ich habe sie hoch gebracht also bringe ich sie wieder runter. Ein weiteres Mal Klettere ich hinauf. Das linke Bein stütze ich auf einen dicken Ast den ich als steighilfe an den hang aufgestellt habe, mit der rechten Hand hänge ich im fels, haben sich die drei Tage in der Boulder Halle letztes Jahr ja gelohnt. “ja komm her, alles gut” rede ich auf sie ein und versuche so entspannt zu klingen wie die Situation es zulässt. Sie kommt näher und ich hebe sie mit der linken Hand zwischen den vorderläufen hoch, was genau hatte ich hier eigentlich vor, naja egal jetzt muss ich es durchziehen, ich klemme sie zwischen Brust und Fels, packe sie wie eine welpe am nackenfell, springe mit ihr anderthalb Meter auf die Moosbewachsenen Steine und schaffe es beim Aufprall gerade so mein Gleichgewicht halten um nicht kopfüber ins Felsenmeer zu stürzen.

Gerade sitze ich am See unterhalb des Hanges und bin immer noch im völligen Adrenalinrausch, na das war ja mal ein Erholungstag. 

10.08. 2019 Tag 9

Nach dem Erlebnis gestern am Hang und einem Blick auf die Karte überlege ich wie es weitergeht. Ich habe weder weiter gehende Erfahrung oder Ausbildung im Hochalpinen Gelände, noch Helm und Seil oder eine zweite Person mit der ich mich gegenseitig sichern könnte, geschweige denn die mir aus der Patsche hilft wenn etwas passiert. 

Ich habe noch sechs volle Tage Zeit und hatte gestern schon überlegt noch tiefer ins Gebirge zu gehen, die Aktion gestern aber war so dermassen Grenzwertig wenn ich so weiter so mache, in diesem Terrain und noch weitere unbekannte Pässe erklimme kann man sich ausrechnen wie lange das gut geht.

Ich beschließe also das ich bei der Ursprungsroute bleibe und dem Fluss zurück ins Tal und zum Frohlikasee folge, dafür muss ich aber erst einmal aus diesem Tal hier raus. 

Die Karte lässt vermuten das es noch einen anderen potentiell begehbaren Pass gibt als den halsbrecherischen von Gestern, also packe ich meine Sachen, schleppe mich den Berg rauf und werde mit einer weiteren atemberaubenden Aussicht belohnt. Das schroffe Barguzin Gebirge auf der einen Seite, auf der anderen Seite sieht man nicht nur den Baikal, im weissen Dunst zeichnen sich hinter dem See sogar die schneebedeckten Berge auf der anderen Seite des Sees ab. 


Von weitem ziehen dunkle Wolken auf mich zu, allzu lange die Aussicht geniessen könnte gefährlich werden, das kraxeln über die Felsmeere ist so schon anstrengend und gefährlich genug, wenn die auch noch vom Regen nass werden kann ich hier oben übernachten, auf rutschigem Fels möchte ich hier keinen Abstieg wagen. 

Die Flanke des Berges scheint gut begehbar zu sein, also auf nach unten. Nicht weit rechts von mir wachsen in der sonst kargen Höhe schon wieder die ersten Wacholdersträucher, ich Blicke in das Tal hinab an den Büschen vorbei, auf einmal tauchen ein paar braune Augen umringt von zotteligem fell vor den Sträuchern auf, keine zwanzig Meter weit weg. Für den Bruchteil einer Sekunde schauen der Bär und ich uns an, ein relativ kleines exemplar, was ist das da hinter ihm, ohhh ein baby Bär und noch ein zweiter, ach nein wie süß. 

Mir rutscht das Herz in die Hose, wo ist der Hund? Ich drehe mich reflexartig um und gehe langsam zurück um Kneuel im Nacken zu packen aus Angst das sie auf die Bären losrennt, es ist reines Glück das sie gerade mal zwei schritte hinter mir ist. 

Ich drehe mich wieder um, die Knie Butterweich in der einen Hand das Nackenfell von Kneuel in der anderen den Speer fest umklammert, bereit zu tun was nötig ist um zu überleben mit der leisen Gewissheit im Hinterkopf das ich im Falle eines Angriffs keine großen Chancen habe. 

Ich schaue die Bärin an, “lass mich gehen”, bitte ich sie leise, “lass mich gehen”. 

Für eine Sekunde die mir wie eine Ewigkeit vorkommt schaue ich sie an, was passiert jetzt? 

Auch sie schaut noch einmal in meine Richtung, ihre Jungen direkt neben sich. Keine Anzeichen von Aggression, nichts, sie dreht sich gemächlich um und verschwindet hinter den Sträuchern, die kleinen folgen ihr. 

Ich habe wirklich nicht damit gerechnet in dieser kargen Höhe auf Bären zu treffen, wer weiss vielleicht ist es ja eine Gourmet Familie und hier oben gibt es die besten Blaubeeren? Normalerweise rufe ich “hopp hopp”, puste in meine Signalpfeife oder singe Laut vor mich hin um eventuelle Bären auf meiner Route vorzuwarnen das ich komme, hier oben nicht, ich bin ziemlich sicher das die Mutter mich nicht kommen gehört hat. Nach allem was ich über Bären weiss mögen sie es ganz und gar nicht überrascht zu werden, und wenn sie dazu auch noch Junge haben sollte man einen guten Schutzengel haben, meiner scheint heute ganze Arbeit geleistet zu haben. Es spricht allerdings auch für das was ich gehört habe, das die Bären hier im nordosten extrem scheu sind, sie gehen dem Menschen eher aus dem Weg als sich mit ihm anzulegen, umso besser für mich. 

Jetzt kann ich mich jedenfalls getrost auf meinen Weg zurück in die Ayaya bucht machen, ich wäre doch schwer enttäuscht gewesen wenn ich so ganz ohne eine Bärenbegegnung nach Hause hätte gehen müssen. 

Als erstes gilt es aber den Abstieg ins Tal zu finden ohne der Kleinfamilie nochmal über den Weg zu laufen. Sie schienen doch sehr scheu zu sein und mich zu meiden also denke ich wenn ich mich akustisch nur gut  bemerkbar mache werden sie schon von alleine Distanz halten, ich bin jedenfalls froh Kneuel heute Nacht als Aufpasserin vor meinem Zelt zu wissen. 

Apropos Hund. Wie genau soll ich mit der Dame eigentlich an der Leine über die Felsen hier laufen, frei rumlaufen lassen werde ich sie bestimmt nicht wenn ich nicht ganz genau weiss das die Bären in sicherer Distanz sind. 

Als ich ihr die Leine anlege und sie versuche zu motivieren streikt sie völlig. OK, ewig werde ich hier nicht rumhocken, wer nicht laufen will muss leiden. Ich öffne meinen Rucksack, lege das Deckelfach auf sie drauf und schließe die schnallen. Ganz schön verwöhnt wirst du hier, jetzt sogar noch mit persönlichem Sänftenträger.

Mehr als 35 Kilogramm habe ich jetzt auf dem Rücken und das kraxeln mit dem Zusatzgewicht über die Felsen ist brachial, am ende des Tages beklagen sich Knie – und Fuss Gelenke, naja alles Training fürs nächste Mal.

Ich befinde mich jetzt auf dem Abstieg ins Tal das mich wieder zurück zum Frohlikhasee führt.

Kneuel ist völlig erschlagen und auch mir steckt der Tag in den Knochen, genauso wie die Dankbarkeit für dieses Erlebnis und das ich es Heil überstehen durfte. 

Die Sonne geht unter. Ich sitze oberhalb meines Camps auf meinem Felsen und genieße den Ausblick. Auf der rechten Seite spiegelt sich der Mond in einem Teich, in der trüben Abendluft zeichnen sich schroffe Felsgipfel ab, die Luft wird langsam kühl.

Morgen geht es also schon wieder ins grüne Tal, Zeit der Welt aus Stein hier oben schon wieder Lebewohl zu sagen. 

Ich habe oft mit Unruhe in meinem Kopf zu kämpfen, ich kann mich nicht erinnern wann es das letzte Mal so still war, wann ich so ruhig und bei mir war. Na dann habe ich wohl gefunden wonach ich gesucht habe, dem Tod nahe sein und die Stille danach. 

12.08.2019  Tag 11

Ich habe es geschafft, ich bin ich wieder am frohlikhasee. Die letzten paar Kilometer durch das schmale Tal waren wieder voller Mosquitos, unsichtbaren Löchern im Boden und den Spuren und frischem Kot nach zu Urteilen auch voll mit Bären weshalb ich bis zuletzt noch bangen musste ob ich es wirklich schaffe heil hier wieder rauszukommen. 

Umso Größer die Euphorie als ich endlich am Ufer des Frohlikhasees stehe, ich breche in Jubelrufe aus, “geschafft, ich Habs geschafft verdammt” schreie ich hinaus! 

Am Ufer des Sees treffe ich eine Gruppe russischer Touristen die sich mit dem Katamaran haben aufs andere Ufer bringen lassen, sie laden mich ein mitzufahren, jetzt ist eh die Luft raus die zwei Stunden am Ufer entlang laufen kann ich mir auch sparen. 

Wodka haben sie dabei, austrinken soll ich, na ist ja nur ein guter Zug also runter damit. Ich habe gut einen Sitzen und erzähle von meiner Bären Begegnung und wie ich Kneuel aus dem Hang gerettet habe.

Die meisten der achtköpfigen Gruppe sind vom russischen Militär, nur der Gönner der Gruppe Vasily scheint eher eine Art Oligarch zu sein, auf die Frage was er beruflich macht antwortet er  jedenfalls nur knapp mit “Business”, ohne den Anflug des Bedürfnisse weiter ins Detail gehen zu wollen.

Die Gruppe scheint sichtlich beeindruckt von meinen Erlebnissen, der eine Offizier möchte sogar ein Handshake Foto mit mir machen und Kneuel scheint es ihnen auch angetan zu haben. “Wir brauchen einen Namen für sie einen richtigen Namen: Baikal!”, sagt Vasily

“nein geht nicht baikal ist männlich, sie ist ein Weibchen”, sagt der andere

“achso, na dann Angara, wie der Fluss” 

Angara, was für ein wunderschöner Name, Kneuel war ja eher mehr so ein Provisorium, “also gut dann heisst sie jetzt Angara.”, antworte ich. 

Angara fängt an auf den Schoß des Offiziers zu klettern. “willst du sie nicht haben” frage ich. 

Ja die größte Hürde wäre erstmal überstanden, sie hat überlebt, ich habe überlebt aber wie geht es jetzt weiter mit ihr, ich selbst kann und will sie nicht behalten. 

“ich würde sie nehmen” sagt Vasily ohne zu zögern”

“wo wohnst du?” 

“Irkutsk” 

“sie ist kein Stadthund” 

“kein Problem ich wohne auf dem Land und habe einen grossen Garten, ich habe sogar bereits zwei Hunde, ich kann sie aber jetzt nicht mitnehmen, wir sind noch eine Woche mit der Yacht auf Tour” 

“und wenn ich sie nach Irkutsk bringe” 

“dann nehme ich sie” 

Na dann haben wir das ja jetzt auch geklärt. 

Was für eine Erleichterung, im schlimmsten Fall muss ich also nur irgendwie mit dem Hund nach Irkutsk finden und dann habe ich ein neues Zuhause für sie.

Ich gehe mit Vasily und den Soldaten den Trail vom Frohlikasee zurück in die Ayaya Bucht, als ich am Strand sitze kommt Vasily von mit dem kleinen Motorboot zurück von seiner monströsen Yacht mit einer Flasche eiskalte Wodka und einer Flasche Paulaner Bier, für dich”, na so lässt sich der überstandene Trip doch angemessen Zelebrieren. 

Während die Sonne hinter dem See versinkt lasse ich jeden Schluck des Bieres mit Hochgenuss meine Kehle runterlaufen, es ist das beste was ich je in meinem Leben gekostet habe.

14.08.2019 Tag 13

Ich befinde mich Chakussy, ein Ferienort für russische Touristen, das Ende meiner Tour. Als scheinbar einziger Ausländer fühle ich mich ein bisschen wie ein Alien aber es gibt heisse  Quellen zum Baden und kaltes Bier könnte also einiges schlimmer sein. 

Der Ranger dem ich vor Beginn meiner Tour begegnet bin hatte gesagt die Route das Tal rauf sei unmöglich, dieser Sommer ist einer der trockensten seit langem und wahrscheinlich ist nur deshalb der Wasserstand im Fluss so gering das ich überhaupt dort entlang laufen konntr, vielleicht meinte er mit unmöglich aber auch einfach nur brachial gefährlich und anstrengend. Auf jeden fall ein Gedanke den man sich schmecken lassen kann, da habe ich wohl das unmögliche möglich gemacht.

Ich habe es überlebt. Ich habe mich an den Rand des Todes gebracht aber wozu eigentlich? 

Die nächsten Touren sind schon in Planung und in Punkto Gefahrenpotential werden sie immer heftiger. Wenn ich so weiter mache lässt sich abzeichnen das ich wohl nicht besonders alt werden werde. Adrenalin, die Nähe zum Tod lässt mein Herz höher schlagen und setzt unglaubliche Endorphinschübe in mir frei. Bin ich ein Junkie geworden? Werde ich langsam süchtig nach der Nähe zum Tod? 

Ich sitze am Feuer und gehe durch meine Playlist, “hast du heute schon gelebt” von den Broilers. 

Oh ja, das habe habe ich, und wie ich das habe, und ich habe keine Drogen gebraucht, keine anderen Menschen nur mich selbst und die Natur und ich weiss nicht wann ich mich das letzte mal so lebendig gefühlt habe wie in den letzten Tagen. 

Beim hören des Songs erinnere ich mich an meine Jugend, nein ich bin kein Junkie geworden, ich war schon immer so. 

Habe ich es nicht immer gebraucht diese extreme, nur wurde ich irgendwann älter und irgendwie ängstlicher, ja, eigentlich war es nur die Angst die mich davon abgehalten hat heraus zu gehen, und was hat es mir gebracht? Stumpf bin ich geworden und meine Träume vom grossen Abenteuer habe ich im Alkohol ertränkt. 

Und wenn es mich ins Grab bringt, scheiss drauf, es scheint wohl als brauche ich das hier um Glücklich zu sein, dann gibt es eben einen einen Drang dem ich folgen muss der mich erfüllt, dafür muss ich eben ein eventuelles ableben in Kauf nehmen. 

Dann war es wohl das was ich gesucht habe, die Erfahrung ans Essentielle zu gehen, Entscheidungen über Leben und Tod treffen zu müssen und nicht nur für mich, ein unschuldiges Lebewesen das jetzt den Namen Angara trägt habe ich mit reingezogen. Es war so merkwürdig am Anfang ihr in die Augen zu sehen, ich wollte gar keine Bindung zu ihr aufbauen weil ich nicht daran geglaubt habe das sie das hier überlebt und selbst wenn was sollte ich dann mit ihr machen. Seit wir vor zwei Tagen am Frohlikhasee angekommen ist so langsam in meinem Bewusstsein angekommen das sie überlebt und das die Entscheidung was mit ihr passiert mir nicht abgenommen wird. Das ich sie nach dem was wir zusammen durchgemacht haben nicht hier verrecken lassen ist auf jeden Fall klar, genauso klar ist das ich sie nicht in eine Auffangstation bringe wo wer weiss was mir ihr passiert bringen werde. 

Ich werde selbst für sie ein neues Zuhause finden indem ich davon ausgehen kann das es ihr gut gehen wird, in Seweriobaikalsk habe ich ein paar Tage Zeit um jemanden zu finden der auf sie aufpasst bis ich von der Kodar Expedition wiederkomme, dann kann ich sie nach Irkutsk zu Vasily bringen.

20.09.2019 Nachtrag

Zurück in Severiobaikalsk gelang es mir tatsächlich recht schnell jemanden zu finden der für mich auf Angara aufpasst. Dora, die Inhaberin des einfachen Hostels am Rande des Baikal erklärte sich gerne bereit, sie würde gut auf sie aufpassen, sie hätte sich ja auch in Angara verliebt, na hoffen wir mal das Dora Angara in zwei Wochen überhaupt wieder rausrücken will, das Mädchen verdreht ja wirklich jedem den Kopf.

Zwei Monate ist es nun her das ich Deutschland verlassen habe um zu meinem grossen Russland Abenteuer aufzubrechen, nun sitze ich im Flieger zurück und ich glaube es ist mir noch nie so schwer gefallen in einen Flugzeug zu steigen wie heute morgen. 

Die letzten zwei Monate waren voller grossartigen Abenteuer und Begegnungen, genau so wie von Einsamkeit und den ständigen Fragen wie es danach weitergehen soll. 

Ob ich gefunden habe was ich suche? Ich denke ja, aber mit neuen Antworten tun sich ja bekanntlich immer noch mehr neue Fragen auf. 

Was ich auf jeden Fall unwiderruflich habe sind die Erinnerungen an unvergessliche Momente und wenn ich mir die Bilder anschaue bleibe ich immer wieder bei einem Foto hängen. Angara, die wilde Hundedame die mich auf meiner Tour begleitet hat und mir selbst im härtesten Terrain und nicht mehr von der Seite weichen wollte, geht ganz schön schnell wie so ein Tier einem das Herz stehlen kann. Ich hätte ich sie gerne behalten aber bei meinem Nomaden Leben kann ich wirklich keinen Hund gebrauchen und ich weiss das es ihr bei mir nicht gut gehen würde, sie dort lassen, am Nordostufer des Baikal kam allerdings auch nicht in Frage, es wäre ihr sicherer Tod gewesen. 

Mittlerweile habe ich Angara nach Irkutsk zu Vasily, in ihr neues Zuhause gebracht. Sie hat jetzt einen großen Garten, Menschen die sich um sie kümmern, viel Auslauf und andere Hunde zum spielen, alles was ein Hund sich wünschen kann. Was mein Leben angeht muss ich grade noch schauen wie es weitergeht, bei diesem Hundeleben denke ich habe ich erstmal ganz gut Arbeit geleistet.

Machs gut Angara!

Ein see spiegelglatt

In der nachmittagssonne

Schroffe felsen

Wachsen aus den pinienwäldern

Still ists 

Und welch wunder

Ist sie mir Heim geworden

Die sibirische Tundra

Mit den Gedanken

Noch in der Welt menschen

Aber mit händen Und füssen

Fern von alldessen

So steif ich durch die wälder

Halb Mensch halb tier

Und bringe meine Zeilen zu papier

Lausche dem Wind 

Rauschen in den bergen

Grüsse im vorbeigehen die bären

Am liebsten würd ich doch

auch einer von ihnen werden