Weisser Sand und Ödland (Mauretanien 2019, die Tour)

07.02.2019 – der Tag vor dem Start

Endlose Dünenfelder türmen sich hinter alten Mauern auf – Chinguetti, die sechste heilige Stadt des Islam. Wir sind am Startpunkt unserer Tour angelangt.

In einem Zivilisation die von dem was ich bisher gesehen habe Augenscheinlich nur noch aus Call Shops, Autowracks und Müll besteht, war im 11. Jahrhundert einer der großen Bildungszentren der damaligen Welt. Als wir die große Moschee besichtigen erzählt uns der Imam gegen kleines Eintrittsgeld wie es früher hier ausgesehen hat. Eine art Klosterschule, eine Universität, ein Hort des Wissens. Nach den Erzählungen des alten Mannes kann ich vor meinem Inneren Auge graubärtige, gottesfürchtige Gelehrte und junge, wissensdurstige Schüler durch die Engen Gassen laufen sehen.

Im Hof stehen Waffen und alte Gebrauchsgegenstände und wir bekommen sogar die bis zu 900 Jahre alten Heiligen Schriften der Moschee zu Gesicht

Jetzt wisst ihr warum Mark Archäologe geworden ist

Ein Vormittäglicher Ausflug in die Dünen steigert den Drang endlich loszugehen ins unermessliche. Wir schaffen es nicht weit genug zu gehen um den Müll den Menschen hier hinterlassen hinter uns zu lassen, aber Morgen, Morgen wird es so weit sein.

Am Nachmittag besichtigen wir die Lehmminen aus denen Die Ziegel kommen die als Grundlage zum Bau der Häuser hier dienen. Aus losem Geröll gebaute Schächte führen etwa sechs Meter in die Erde, ein Seil scheinbar selbst geflochten aus alten Kleidungsstücken dient als ab – und aufstiegshilfe.

Ich bin als erster unten, genieße die kühle Luft unter Tage auf einmal Rummst es rumst hinter mir. Ich drehe mich um und sehe Mark auf dem sandigen Boden liegen. Verdammte Scheisse was war denn das jetzt? Muss er sich einen Tag vor dem Start der Tour noch alle Knochen brechen. Mark ist ansprechbar und bei Bewusstsein, nur ein wenig unter Schock. Abgerutscht, von fast ganz oben aber sich mit den Händen an den Felswänden irgendwie angebremst, der Boden aus weichem Sand ist hat wohl das schlimmste Verhindert.

Mark kraxelt wieder hoch

Die Füße sind Heil, Die Beine sind Heil, keine Gehirnerschütterung die sich ankündigt, die Hand könnte verstaucht oder gebrochen sein. Wer denkt das so eine Lapalie einen Mark Sabau am Start dieser Unternehmung zweifeln lässt hat sich verrechnet. Morgen geht es los, komme was wolle!

12.02.2019 – Tag 4

Die grösste Herausforderung zu Beginn, so hatten wir es geplant wir wussten ja worauf wir uns einlassen, oder?

Seit drei Tagen haben wir keinen Brunnen gesehen, Marks Vorbereitung ließ bereits durchblicken das an diesem Teil der Route immer wieder das grosse Dünenfeld, welches das größte der Erde ist und sich bis nach Mali erstreckt anschneiden und die Brunnen hier rah gestreut sind. Nun neigen sich die Wasservorräte in unseren Plastikkanistern langsam aber sicher dem Ende zu.

Ich werde unruhig und so langsam packt mich die Realität. Wir befinden uns mitten im hinterletzten Nirgendwo mehrere Tagesmärsche von jeglicher Zivilisation entfernt, die einzigen GPS Daten von Wasserreservoirs die wir haben sind über hundert Kilometer weit weg und wir laufen Blind einem Mann hinterher den wir überhaupt nicht kennen. Ein Mann über dessen Fähigkeiten und Kenntnisse über die Gegend wir nur spekulieren können.

Hadrami sagt wir kommen Morgen an den Brunnen, morgen Mittag um 12 Uhr. Wenn ich eines in Marokko über Zeitangaben von Nomaden gelernt habe dann das sie gerne mal Minuten mit Stunden und Stunden mit Tagen verwechseln.

Ich konfrontiere Mark mit meinen Gedanken. “Wird schon gut gehen, mach jetzt nicht so ein aufhebens” kommt zurück.

Ja, was sollen wir schon machen, Laufen und vertrauen mehr bringt jetzt auch nichts mehr. So ist das wohl wenn man Verantwortung abgibt wird Mensch zu Schaf, hoffen wir mal dass wir einen guten Schäfer haben.

14.02.2019 – Tag 6

Es ist 13 Uhr. Im Windschatten eines ausgetrockneten Dornengestrüpps liegen wir herum und sitzen die Mittagshitze aus während die Kamele zum fressen unterwegs sind.

Gerne würde ich herumlaufen und mir die Ruinen inklusive einer ungewöhnlich niedrigen und langen Mauer nahe unseres Camps angucken, aber der Hitzekoller der mich trifft sobald ich aufstehe lässt mich dieses Vorhaben erst einmal verschieben.

Unser Wasser haben wir neu aufgefüllt. Um Punkt 11:30 des gestrigen Tages erreichten wir den Brunnen, was man in so einem Moment fühlt ist nicht zu beschreiben. Nachdem wir die Kamele tränkten, gönnten wir uns erstmal selber ausgiebige Züge von dem frischen, sauberen Brunnenwasser und ich füllte meinen Ortlieb Sack und suchte mir eine Ruhige Akazie, wo ich ich eine ausgiebige Dusche mit Aussicht auf die Dünen vornehme.

Gestern konnte man bereits deutlich riechen dass das Wasser in unseren Kanistern umgekippt war. Nachdem ich den ersten Durchfall bekam fing ich an das Wasser vor dem trinken zu filtern zumindest bis es wieder frisches gibt. Mein Magen ist nach den zwei Monaten Marokko vor dieser Tour schon einiges gewohnt aber das war dann wohl doch zu viel des guten. Mark verzichtet trotz stinkendem Wasser und sichtbaren Algenspuren in den Kanistern auf jegliche Desinfektion, bis heute ohne Probleme.

Die Landschaften die wir die letzten Tage durchwandert sind waren mehr oder weniger abwechslungsreich. Wunderschöne Dünenfelder und bizarr geformte Felslandschaften immer wieder durchwachsen mit Akazien, Sodomsäpfeln und kleineren Gräsern und Sträuchern.

Gestern dann die für mich bisher mit Abstand eindrucksvollste Landschaft: ein ausgetrocknetes Flussbett erstrahlte vor grün, zwischen den großblättrigen Calotropis Gewächsen stehen Felsen die aussehen wie vom Wasser abgeschliffene mini Tafelberge, hinter den Säulen türmen mehrere hundert Meter beeindruckende Dünen aus weißem und gelbem Sand auf.

Noch am selben Tag führt uns Hadrami zu einer Art höhlenartigem Felsüberhang in den ein paar einfache aber wunderschöne Schriftzeichen gemalt sind, das ganze nicht weit entfernt von einem kleinen natürlichen Wasserbecken das salziges Wasser enthält. Leider bleiben wir nicht dort zum übernachten sondern müssen weiter zum nächsten Brunnen um unser Wasser aufzufüllen. Nachdem wir den Fels mit den Malereien ausgiebig bestaunt und fotografiert haben stecken wir einmal den Kopf in das salzige Wasser und sagen auf wiedersehen zu diesem magischen Ort.

Da die Etappen nur gelegentlich von spektakulären Landschaften zeugen und das Laufen insgesamt eher in eintönigen und wenig anspruchsvollen Gelände von statten geht fördert es auch einen ähnlichen Gemütszustand. Die Landschaften verleiten mich dazu viel in den eigenen Gedanken zu verweilen und es fällt mir schwer im hier und jetzt der Tour zu sein, ein Zustand der sich hoffentlich bald ändert.

Keine großen Berge gibt es zu erklimmen, keine körperlichen Höchstleistungen zu vollbringen und Körper und Geist scheinen sich dem anzupassen.

Ich habe kaum Appetit, keine großen Tagträume vom Luxus wie einer Badewanne oder frischem Obst wie ich es sonst gerne auf entbehrungsreichen Touren habe.

Die Eintönigkeit der Landschaft scheint eine Art Bedürfnislosigkeit zu begünstigen die ich so noch nicht kannte.

18.02.2019 Tag 10

Jeder Tag ist gleich. Stumpf. Die Landschaften eintönig, der Tagesablauf immer derselbe.

Nichts

Hochebenen mit kargem Bewuchs wechseln sich mir ebenfalls spärlich bewachsenen Dünenfeldern ab. Oft ist weit und breit bis zum Ende des Horizontes keine Abwechslung in sicht. Wenn eine Depression eine Landschaft wäre, dann wäre sie eine mauretanische hochebene.

Nichts mit Baum

Täglich grüßt das murmeltier auf Sahara Art. Meine Art damit umzugehen ist dieselbe wie beim warten auf den Eisenerzzug: der Verzicht auf jegliche Erwartung. Tatsächlich gelingt es mir sogar trotz des nicht enden wollenden Stumpfsinns der Landschaft immer wieder die Tour zu genießen.

Nichts mit Kamel


Darf ich Ihnen präsentieren: noch mehr nichts!

Kleine Veränderungen wirken auf einmal ganz groß. Eine leicht grüne savannenähnliche Landschaft in einem Tal wirkt auf einmal wie der Garten Eden. Der Punkt vor dem Abstieg einer Hochebene in ein Tal bietet grandios weite Aussichten und von unserem gestrigen Camp konnten wir mit dem Fernglas am Horizont zwei Schakale beobachten wie sie den Kamm einer Hochebene entlang liefen.

Vorgestern beim Blick in einen kleinen Seiten Canyon noch eine besondere Entdeckung. Es war definitiv ein Raubtier, Katzen – oder Hunde ähnlich, dass zwischen den Dünen gelauert haben muss und im spurt die Flucht ergriff als er uns gehört hat.

Leider war es zu schnell zu weit weg um es eindeutig zu identifizieren aber die Größe des Tieres lag zweifellos weit über dem was ein großer Schakal hätte sein können.

Wäre ich alleine gewesen und hätte Wasser und Essen es zugelassen, hätte ich ohne Zweifel den Rest des Tages damit verbracht zu versuchen näher an das Tier heran zu kommen und es zu identifizieren. Unsere Vermutung bleibt immer wieder bei der Streifenhyäne hängen die hier vereinzelt vorkommen, herausfinden werden wir es wohl nie.

Zwischen diesen Dünen hat das Tier gelauert

Seit 10 Tagen laufen wir nun Hadrami hinterher. Fehlende Informationen von Wasserstellen und der Fakt dass Hadrami wie fast alle Nomaden nichts mit geographischen Karten anfangen kann machen es überhaupt unmöglich Entscheidungen über den Routenverlauf selbst in die Hand zu nehmen.

Natürlich bin ich darüber enttäuscht da das hier doch eigentlich die Tour sein sollte die uns an unsere Grenzen bringt und unsere Skills in Navigation, Planung und Wissen über die Wüste auf die Probe stellen soll.

Andererseits ist es wundervoll zu sehen wie ein Einheimischer lebt, wandert und für ein paar Wochen selbst dieses Leben mit zu Leben.

Hadrami ist ein älterer Mann. Sein faltiges Gesicht, seine Hände und Füße Zeugen von einem harten Leben in den unerbittlichen Witterungsverhältnissen dieser Landschaft.

Ich bin mir sicher daß er viel weiß über diese Gegend, sein Französisch ist aber sehr begrenzt was es schwierig macht weitergehende Gespräche über Flora und Fauna zu führen.

Seine Falten könnten abgesehen vom harten Leben sicher auch durchs viele Lachen entstanden sein da er keine Gelegenheit auslässt sich über irgendetwas, in der Regel über uns schlapp zu lachen.

Im Minimalismus macht den Nomaden keiner was vor. Alles was Hadrami dabei hat, inklusive Teeservice, passt in einen mittelgroßen Militärrucksack der allerdings nicht einmal halb voll ist. Morgens nach dem Tee steht er auf, rollt seine Decken zusammen die gleichzeitig den Kamelen als sattelpolster dienen und ist fertig. Während ich mir seit Monaten den Kopf zerbreche welches Schuhwerk denn das richtige für die Tour ist läuft er in Flip Flops. Und ich meine noch nicht einmal gute Leder Flip Flops, es sind eher welche die aussehen wie die Dinger die es in Deutschland für 1,50 bei Tedi zu kaufen gibt!

Who is a badass?!

Wie Mark und ich schon vorher feststellen durften sind die einheimischen Guides armer Länder wunderbar darin jegliche outdoor Überzeugung die man einmal hatte in der Luft zu zerfetzen. Wir sind froh von ihnen zu lernen.

Ein Wandertag unserer Tour folgt einem immer gleichen Rhythmus und läuft folgendermaßen ab:

Jeden Morgen steht Hadrami als erster ohne Wecker vor Sonnenaufgang auf, spricht sein Morgengebet und entzündet ein Feuer. Auf der Glut des Feuers fängt er an in einer für 3 Personen lächerlich kleinen Kanne Tee zu kochen, während Mark und ich langsam wach werden.

Morgenstimmung

Als wir vor der Tour von unserem Vermittler in Chinguetti hörten das wir fünf kilogramm Zucker für eine dreiwöchige Tour mitnehmen sollten, dachten wir die ticken ja nicht ganz richtig.

Nach dem ersten Tag wurde es dann klar. Das Tee Ritual, das wir auch schon aus Marokko kannten wird ca. 20 mal am Tag wiederholt, während der Tee so stark gezuckert wird dass das dunkle Gebräu eine Konsistenz erreicht die mehr an Sirup als an Tee erinnert.

Zum Frühstück gibt es nur ein paar Cracker und Nüsse. Mark und ich essen häufig noch einen Energieriegel. Dann werden die Kamele bepackt und gelaufen bis wir an einen Ort kommen der sich für die Mittagspause eignet. Irgendwo wo es genug Bäume oder Büsche gibt die uns Schatten und den Kamelen Nahrung spenden.

Das Essen Mittags wird ebenfalls auf dem Feuer zubereitet und einfach Gehalten: es gibt abwechselnd Reis oder Nudeln mit ein wenig Salz, Zwiebeln und Olivenöl.

Zu Abend nach dem ca. 3-5 stündigen nachmittäglichen Marsch machen wir Abends das dritte Lagerfeuer des Tages um abermals Tee und essen zu kochen. Hadrami backt sich sein Brot im Sand und Mark und ich kochen uns wieder ein einfaches Gericht aus Reis oder Nudeln.

Um ca. 8 Uhr ist es dunkel und etwa ein halbe Stunde danach, nach dem letzten Tee des Tages ist Feierabend und wir gehen ins Bett.

Anfangs noch ungewohnt habe ich mehr und mehr angefangen den klaren Tagesablauf und den Rhythmus und die Einfachheit lieben zu lernen. Wir schlafen jede Nacht unter freiem Sternenhimmel und es fällt mir gerade schwer mir die Lautstärke eines Autos oder einer Straße in den Sinn zu rufen. Die moderne Welt erscheint immer weiter weg umso länger wir in der Wüste sind und ich merke wie gut es mir tut. Meine Träume sind klarer, meine Gedanken werden ruhiger und weniger chaotisch. Die Mittagspause die wir aufgrund der Hitze einlegen müssen zwingt uns einige Stunden am Tag nichts zu tun.

Für uns Mitteleuropäer in unserer heutigen Welt eigentlich unvorstellbar, da man sich ja immer irgendwie beschäftigen oder ablenken kann.

Für Afrikaner inmitten der Wüste selbstverständlich: es gibt einfach nichts zu tun, es gibt keine Ablenkung, kein Internet oder Fernsehen und ohnehin ist es viel zu heiß um sich mit etwas zu beschäftigen. Also was tut man? Man tut nichts, kaut Miswaq, trinkt Tee und liegt faul herum. Wundervoll!

Die heutige Nacht ist Vollmond und wahrscheinlich ist das fast taghelle Licht der Grund warum ich mitten in der nacht um 22 Uhr noch wach bin um zu schreiben. Morgen sollen wir laut Hadrami in eine wunderschöne Oase kommen, ich lasse meine Erwartungen erst einmal unten. Ganz langsam fängt ein bald ist es vorbei Gefühl an mich zu beschleichen und wir fangen immer mehr an darüber zu reden wie es weiter gehen soll in Richtung Senegal. Saftige grüne Wiesen und tropische Flüsse regen unsere Fantasie an während wir tagsüber durch trostlos Einöde marschieren. Ein paar Tage noch, aber ich weiss jetzt schon das ich diese Einöde vermissen werde.

22.02.2019 – Tag 14

Der Stumpfsinn hat ein Ende. Die Landschaft wird abwechslungsreicher, Felsig und hügelig und vorgestern haben wir einen kompletten Tag bei der Talmust Oase nahe eines Dorfes mit ca. 50 Einwohnern verbracht. Einen halben Tagesmarsch bevor wir die Oase erreichten zeigte uns Hadrami in einer abgelegenen Felslandschaft noch ein ganz besonderes Schmankerl. Wunderschöne Felsmalereien.

Hinter den Gemälden führt der Fels uns in eine Höhle die nach hinten hin immer schmaler wird. Eine Engstelle führt in einen Hinterraum. Man kann unmöglich sehen wie weit es noch geht, Sand rieselt von der Decke. Unsere Kopflampen sind noch im Camp aber einen Teufel werde ich tun, da nicht reinzugehen.

Mit der Handy Taschenlampe bewaffnet krieche ich durch das Loch in den hinteren Raum. Wie lange hier wohl keiner mehr drin war? Mir wird mulmig zumute, Sand rieselt mir von oben ins Gesicht, ich kann nicht sehen wie es weitergeht aber es scheint nicht das Ende zu sein. Die Handy Lampe geht aus, Orientierungslos sitze ich in der Dunkelheit und gerate ein wenig in Panik. Die Handy Lampe geht wieder. Ok das wars, schnell raus hier, wir brauchen die Taschenlampen.

Nach einem kleinen Ausflug zurück ins Camp kommen wir mit Kopflampen bewaffnet wieder und starten die zweite Erkundungstour. Mit richtigen Lampen und zu zweit ist die Aktion auf einmal wesentlich entspannter. Ein paar kleinere Tierskelette lassen Räuberische Höhlenbewohner erahnen deren Heimat wir betreten und eine Menge Fledermäuse streifen uns am Kopf. Der ursprüngliche Höhlenboden ist leider mit einer Menge frischem Sand bedeckt. Die Hoffnung von Funden die noch aus der Zeit der Felsmalereien stammen ist nach Jahrtausenden erfolgreichen Karrieren von Grabräubern ohnehin gering, der frische Sand nimmt uns auch die letzte Hoffnung.

Wenige Meter hinter der Stelle an der ich umgedreht habe ist die Höhle zuende, ein Raum so groß das etwa fünf Menschen gut aufrecht darin stehen könnten.

An der Decke hängen Fledermäuse, die sich von uns nicht stören und sich sogar fotografieren lassen.

Am ende des Raumes geht ein Loch in den Fels. Es stinkt, es stinkt wie Fuchspisse und es kommt warme Luft heraus…

“Mach die Taschenlampe aus!” Ich gehorche ohne nachzudenken. Völlige Dunkelheit, völlige Stille. Zum ersten mal seit mehreren Wochen befinden wir uns in einem geschlossenen Raum. Durch die Ritze in der Decke der Höhle hört man wie von ewig weit weg den Wüstenwind und ich spüre wie die warme Luft aus dem mysteriösen Loch heraus an mir vorbei strömt.

Ein paar Minuten bleiben wir so sitzen, regungslos. Irgendwann konnten wir uns dann doch losreißen und die Stille durchbrechen, Hadrami wartet schließlich nicht mit dem Mittagessen.

Die Oase erreichen wir am Ende des Tages. Keine Paradis, keine Offenbarung von grünem Leben, der Palmenhein strahlt ein schwaches Grün aus, trotzdem wohlige Abwechslung nach so langer Zeit wieder an einem Schatten spendenden wald ähnlichen Ort zu sein.

Die Einheimischen vor Ort sprechen kaum ein Wort französisch und da wir kein Hassania können hatte sich das mit der verbalen Kommunikation erledigt, was allerdings niemanden davon abhält uns zum Tee einzuladen.

-“Ich glaube nicht das viele weisse in das Dorf kommen. Siehst du wie der junge uns anguckt” sage ich zu Mark.

-“wenn ein Alien in deine Stadt kommen würde, sich bei dir ins Wohnzimmer setzt und mit deinen Eltern Tee trinkt, wie würdest du schauen?”

Und tatsächlich, seinem Blick nach zu urteilen scheint das Weltbild des jungen gerade völlig in sich zusammen zu brechen. Über eine Stunde lang kann er nicht aufhören uns geradezu entsetzt anzustarren, was bei Mark und mir für köstliche Unterhaltung sorgt.

Die Stimmung in dem einfachen Lehmhaus ist locker. Kinder spielen, Hadrami unterhält sich mit seinem scheinbar alten Freund während die Tochter in aller Ruhe Tee kocht.

Die traditionellen 3 Tassen für jede Person dauern je nach Haushalt und Zubereitungsritual in der Regel eine bis zwei Stunden. Die Frau meinte es gut mit uns und schien unsere Anwesenheit zu geniessen. Sie schafft es das Ritual auf den neuen rekord von ca. zweieinhalb Stunden auszudehnen, wir hören mauretanische Musik von einem alten Smartphone mit unglaublich schlechter Aufnahmequalität und zeigen ein paar Bilder von unseren Handys wie es bei uns in Deutschland aussieht. Die Familie ist völlig begeistert und ich zeige Bilder bis mein Akku schlapp macht. Auch wir geniessen den Besuch und die lockere Stimmung im Haus und gehen nach dem dritten Tee zurück in unser Camp am anderen Ende der Oase.

Ein Abschiedsfoto

Gerade befinden wir uns uns schon in der nächsten Oase nahe des Dorfes Rashid.

Der Ort hat vielleicht 500 Einwohner wenn es hoch kommt und fühlt sich nach den letzten zwei Wochen an wie eine Großstadt. Die Landschaft seit der letzten Oase ist nur noch selten Ödland und man merkt das wir uns langsam aber sicher aus dem Kerngebiet der Sahara entfernen. Immer mehr verschiedene Arten von Pflanzen stehen immer dichter nebeneinander, und Felsen am Horizont lassen einen gerne mal an Szenen aus alten Winnetou Streifen zurückdenken.


Tidjikja, unser Ziel hätten wir auf direktem Wege locker heute schon erreichen können sodass wir noch ein bisschen im zickzack laufen bevor wir die Tour dort beenden.

Noch drei Tage haben wir vereinbart für das leihen der Kamele und Hadrami als Begleitung. Nachdem wir nun schon fast einen Monat ausschließlich in Wüstenlandschaften verbracht haben werden die Wunschträume nach den heimischen Landschaftsformen immer größer. Kalter nasser Wald, fließendes Wasser, ein See. Überhaupt frisches Wasser das nicht aus Plastikkanistern kommt – der Stoff aus dem unsere Träume sind.

23.02.2019 Tag 15

Gerade befinden wir uns in unserem Camp für diese Nacht zwischen dem Dorf Rashid und unserem Ziel Tidjikja. Ein für mauretanische Verhältnisse ziemlich neu aussehender Toyota Geländewagen kam gerade an unserem Camp vorbei. Der Fahrer des ersten Autos das wir seit zweieinhalb Wochen sehen erinnert uns an ein Phänomen, dass wir vor ein paar Tagen beobachtet aber fast wieder vergessen hatten. Als wir Abends nachdem wir bei der Familie im Dorf bei der Talmust Oase unseren Kram zum Schlafen vorbereiten passiert es. Wie als hätte jemand mit einem superhellen Blitz ein Foto gemacht blendete es mich. Zuerst dachte ich Hadrami hätte mich ausversehen kurz mit seiner Taschenlampe angeleuchtet, dann schaue ich an ihm vorbei auf den Himmel und sehe den Rest des Kometen am Himmel verglühen. Ein paar Minuten später, so lang dass wir es kaum mit noch mit dem Himmelskörper in Verbindung bringen ein dumpfes donnern. Es muss weit weg gewesen sein. Eine Detonation? Militär Übungen? Kann es wirklich der Komet sein mehrere Minuten nach dem verglühen am Himmel? Der Fahrer des weißen Toyota bringt die Bestätigung. Der Komet soll irgendwo in der Gegend zwischen Rashid und Tidjikja runtergefallen sein, dort wo wir gerade lang laufen. Er und ein paar andere Leute seien auf der Suche. Zu dem Zeitpunkt des Aufpralls befanden wir uns also etwa 80 km nördlich des Aufprallortes.

Es ist bereits dunkel und wir bereiten uns zum schlafen gehen vor, als wir von weitem die Lichter eines zweiten Geländewagens kommen sehen. Der Wagen braucht ca. eine viertel Stunde um durch das sandige, von Wüstenpflanzen durchwachsene Gelände zu uns zu manövrieren. Uns wird mulmig zu mute. Was sind das eigentlich für Leute die mitten in der Wüste einen Kometen suchen und es von Vorteil das wir jetzt Mitwisser ihres Vorhabens sind. Ich stelle mich schonmal auf die mit Abstand unruhigste Nacht dieser Tour ein. Mein SOS gerät liegt eingeschaltet und griffbereit neben meiner Isomatte. Na dann gute Nacht.

25.02.2019 – Tag 16

Die Leute die Kometen gesucht haben haben uns in Ruhe gelassen, auch wenn der Schlaf in der Nacht wie erwartet immer wieder unterbrochen wurden von aufhellenden Scheinwerferlichtern und den Gedanken daran das fremde Leute in der nähe sind die jeden Moment neben unserem Bett stehen könnten.

Am nächsten Tag packen wir wie gewohnt unsere Sachen und verschwinden in Richtung Tidjikja, Einen Kometen haben wir nicht gefunden, ist vielleicht auch besser so.

Wir haben es geschafft. Heute vormittag sind wir in Tidjikja angekommen, dem Ziel unserer Tour. Ca. 400 km haben wir innerhalb von 16 Tagen zurück gelegt.

Rein sportlich gesehen war diese Tour mit durchschnittlichen 25km am Tag in fast ausschließlich flachem Terrain eher ein langer Spaziergang und kam uns auch so vor.

Wir hätten beide gerne auch weitaus größere Tages Distanzen zurücklegen können, vor allem in den Hochebenen, da es sich kaum lohnt dort länger als nötig zu verbringen.

Warum wir es nicht gemacht haben Tja, einerseits wollten wir wohl nicht von Hadrami und den Kamelen erwarten das sie bis zum umfallen laufen nur weil wir gerne an unsere Grenzen gehen und ausserdem hatten wir Tidjikja als Ziel jetzt nun einmal abgesprochen und es hätte keinen Sinn gemacht durchzuspurten ohne die Route zu verlängern.

Generell hat das Thema der Abhängigkeit von Hadrami und den Kamelen die ganze Tour bestimmt. Hadrami war nunmal der einzige der die Route kennt und wegen den Kamelen konnten wir auch bei der Schlafplatz Wahl nicht viel mitreden. Zu gerne hätten wir zwischen den grossen Dünen geschlafen, unter Felsüberhängen in den Bergen oder Zerklüfteten Canyons, aber wir taten es nicht. Wir schliefen da wo Hadrami es gesagt hat, damit sicher ist das es genug zu essen für die Tiere gibt.

Kompromissfähigkeit wenn es um Selbstbestimmtheit geht war noch nie meine Stärke, aber sei es wie ist, wir sind den Kompromiss eingegangen als wir gemeinsam gestartet sind und ich bereue keine Sekunde der Tour.

Seit zweieinhalb Wochen werde ich heute Nacht das erste Mal in einem geschlossenen Raum schlafen und es fühlt sich jetzt schon komisch an. Mit Wehmut bin ich heute morgen aufgestanden mit dem Wissen dass das hier erstmal die letzte Nacht unter freiem Himmel ist. Nicht einmal haben wir das Zelt ausgepackt auf der ganzen Tour, es gab einfach keinen Grund. Keine Skorpione, keine Schlangen, keine Mückenschwärme und erst Recht kein Regen.

Das Klischee, dass einem in der Sonne das Gehirn gegrillt wird und man ein wenig an Verstand einbüßt können wir auf jeden Fall bestätigen. Zum Ende hin wurde unsere Grammatik immer primitiver, unsere Gesprächsthemen immer absurder und wir hatten verdammt viel zu lachen. Den Zenit erreichte unsere geistige Verarmung als Mark in Rashid versuchte ein Gespräch über die zubereitungsart unserer Hähnchenkeulen zu führen.

Mit seinem dunkelbraunen, von über dreißig Grad heißer Sonne ausgesetzten Gesicht und einem Blick völliger Leere schaut er mich an und sagt:

-“Ey, wir machen Hähnchen Salz ne?”

-“Klar können wir machen, aber mach doch erst mal einen Satz”.

Noch zwei weitere Wochen Wüste und ich bin mir sicher wir wären auf das geistige Niveau eines mauretanischen Lastenelsels herab gesunken.

Generell hat Mark in diesen paar Wochen seit wir in Marrakesch gestartet sind die wohl schnellste und merkwürdigste Transformation durchgemacht die ich jemals gesehen habe. Anfangs noch Schneeweiss, mit einem massigen Körperbau und gebildetem auftreten ging es rasend schnell bergab. Der Bart wucherte, das Gesicht wurde rötlich braun und er aß immer nur die Hälfte von dem was ich verputzte. Nach einem Monat blieb von dem anfänglichen fleischigen Wissenschaftler nicht mehr viel übrig. In der Mittagssonne Blicke ich in die Augen eines hageren Typen, das Gesicht von der Sonne gegrillt mit ungepflegtem Bart, der es kaum mehr schafft einen Satz über die Zubereitungsart seines Hähnchens herauszubekommen.

Hähnchen… Mit Salz

Mark und ich vor Beginn der Tour in der Westsahara
Mark und ich im fortgeschrittenen Stadium

Auch wenn es sportlich auf dieser Tour für uns keine nennenswerte Herausforderung gab, so haben wir doch im Nachhinein festgestellt das es es etwas gab was uns zu schaffen gemacht hat. Keine großen Ausschläge in der Anstrengung oder den Witterungsverhältnissen waren es die uns fertig gemacht haben, sondern einfach die Dauer des ausgesetzt seins der Sahara. Während die Temperatur tagsüber im Wind meist noch erträglich war war es vor allem die Sonne und an zweiter Stelle der oft permanente, mit feinem Sand angereicherte Ostwind, der sogenannte Harmattan. Am Anfang und am Ende war der Wind besonders stark so dass wir für mehrere Tage in einer permanenten Sandstrahlung ausgesetzt waren.

Die Wüste ist dafür bekannt das sie verbraucht, man schaue sich als Beweis mal die Produkte namhafter Autohersteller an. Wenn sie im Dauereinsatz in der Wüste sind werden aus Fahrzeugen innerhalb weniger Jahre in einzelteilen herumliegende Schrotthaufen.

Wenn ich so Hadrami ins Gesicht schaue muss ich doch schwer überlegen, die Nomaden interessieren sich nicht für ihr Alter und dementsprechend wissen sie es auch nicht.

Er sieht aus wie gestandener Mann Mitte 50, ob er nicht vielleicht doch erst Anfang 30 ist…

27.02.2019 – nach der Tour

Wenn ich jetzt an die Tour zurückdenke und ich sie mit einem Wort beschreiben sollte wäre es Weite. Noch nie habe ich eine Landschaft gesehen die auch nur annähernd an die Weitläufigkeit dieses Teils von Mauretanien herankommt. Die Sichtgrenze war wenn nicht irgendwo ein kleiner Berg oder ein Dünenfeld dazwischen lag in aller Regel der Horizont. Die Hochebenen waren der Gipfel dieser Weitläufigkeit – ein Meer aus nichts. Auch wenn ich vorher nie gedacht hätte das mir so eine Art Landschaft gefallen könnte, irgendetwas in mir scheint das endlose nichts anzusprechen und ich habe Lust auf mehr bekommen. Mehr Ödnis, mehr Stumpfsinn. Der Wunsch in mir wird groß das nächste mal eine Landschaft zu begehen die vielleicht noch karger und lebloser ist, immerhin gab es jetzt ja zwischendrin noch Bäume.

Auch wuchs in laufe der Zeit der Wunsch in mir auch in Zukunft mehr das Leben der Einheimischen zu Leben anstatt immer nur auf Strecke zu wandern.

Man kann ausserdem so viel mehr über Tiere, Pflanzen und Bräuche der Menschen lernen wenn man sich mal von der Vorstellung trennt seine selbst gewählte Herausforderung absolvieren zu müssen.

Gerade liege ich in meinem Bett in einem einfachen Hotel in Nouakchott, der Hauptstadt Mauretaniens. Kein Hadrami der Feuer macht und mir einen Tee kocht zum wach werden, deshalb habe ich es wohl auch noch nicht aus dem Bett geschafft. Wie erwartet habe ich einen Kulturschock und sehne mich schon nach dem einfachen Leben der Wüste zurück.

Gleichzeitig überlegen wir gerade wie es weitergeht.

Ein Floß bauen und den Senegal Fluss runter fahren, ein Fahrrad kaufen und nach Dakar fahren oder doch nur an der Küste rumsitzen und Angeln?

Ein unvergesslicher Trip geht zu Ende, der nächste beginnt

Bis zum nächsten Abenteuer!