Auf ein Date in Marokko

Auf ein Date in Marokko

Abdullah lässt seinen klapprigen alten Toyota noch einmal kurz aufbrummen bevor er ihn ausrollen lässt und wir in das Labyrinth der Seitengassen von Guelmim einbiegen. Verfolgen sie uns noch? Der weiße VW Bus in dem die Offiziere sitzen die uns eben kontrolliert haben scheint weg, und auf einmal taucht vor uns ein neuer auf, scheint als fährt plötzlich jeder in Süd Marokko Volkswagen oder sind das erste Anzeichen von Paranoia?

Wie zur Hölle sind wir überhaupt in diese Situation gekommen? 

“Abdullah, ich dachte wir treffen uns hier nur mit zwei Mädels die du letzte Woche kennengelernt hast, warum laden wir sie nicht einfach in die Hotelbar auf ein gläschen Wein ein und schauen wie es läuft?”

“In der Hotelbar”, wiederholt er meine Worte mit einem ungläubigen Raunen, “das hier ist nicht Deutschland, und diese frauen sind keine europäerinnen!” beendet er die Argumentation trocken.

Abdullah kenne ich schon seit Jahren. Er ist ein Wüstenfuchs, ein Einzelgänger wie ich aber selbst die größten Eigenbrötler brauchen ab und an mal ein wenig Liebe. Am liebsten hätte er doch eine Frau fürs Leben, aber er scheint zwischen den Stühlen alleine hocken zu bleiben. Für Marokkanische Frauen und deren Eltern scheint sein Weltbild zu westlich und modern, und die Frauen aus Europa wollen nunmal für gewöhnlich nicht in einem Kaff in Südmarokko leben. Den ein – oder anderen Urlaubsflirt gab es aber meist war er nach der Heimreise schnell wieder vergessen. 

Nun wie kann ich also nein sagen wenn ein Freund mich fragt ob ich ihn auf ein Date begleite? Sie bringt ihre beste Freundin mit, er muss natürlich auch jemanden mitbringen, man kennt das Spiel ja. Nur das Spielfeld, das kannte ich nicht. 

Den ganzen Nachmittag haben wir gewartet bis die Mädchen aus einem Nachbardorf anreisen, hier dauert alles ein wenig länger. Als ich längst aufgehört habe zu glauben das sie überhaupt existieren ist es bereits dunkel geworden in den Strassen der kleinen Stadt. 

“Wir treffen uns also mit zwei vermutlich streng muslimische erzigenen Frauen aus irgendwelchen Dörfern die du nur einmal kurz gesehen hast, die wir in der Dunkelheit aufsammeln und dann irgendwo in die Wüste fahren? 

Dass das selbst ohne Militär auf den Fersen mehr als gruselig ist ist klar oder? Sag was passiert wenn sie uns erwischen”

“dann haben wir ein Problem!”

Endlose schleifen drehen wir in den Gassen bis selbst ich den Überblick verloren habe wo wir eigentlich sind. Nach einer gefühlten Ewigkeit steigen sie auf einem unbeleuchteten Parkplatz endlich ein. Sie sind älter als ich gedacht habe, bestimmt Anfang dreißig, aber ganz hübsch eigentlich auch mit dem Kopftuch. 

Ich fühle mich wie ein schwerkrimineller auf Beutezug, unsere dubiosen Gäste ducken sich auf der Rückbank als eine Patrouille an uns vorbei fährt. Nicht mehr weit und wir haben es geschafft. Als wir aus den Toren von Guelmim herausfahren und kein weißer VW hinter uns zu sehen ist lässt Abdullah siegestrunken den Motor aufheulen und das Gefühl im Boden versinken zu wollen weicht einen Moment Euphorie. Verdammt ist das aufregend, so verboten! Muss ich mich jetzt eigentlich noch schlechter fühlen weil es mir gefällt?

Ein kleiner Smalltalk auf Arabisch lockert die Stimmung ohne das ich auch nur ein Wort verstehe. Kein Englisch also, habe ich auch nicht erwartet aber nicht einmal Französisch können die beiden. Wenn sie die Amtssprache nicht können müssen sie wirklich aus den kleinen Dörfern können. Nach ein paar Minuten lässt der Euphorie Schub nach, da ich nicht mitreden kann blicke ich nach vorne auf die Straße und schweige. Diese fahrt dauert ja ewig und was zur Hölle soll dann bitte kommen?

Wir hatten ja vorher besprochen wie wir es machen: Abdullah geht mit seiner Flamme spazieren, ich kann ja im Auto bleiben mit meiner, Herdentrennung und so. 

Moment mal, wollen wir jetzt hier eigentlich unsere große heimliche Liebe finden oder wollen diese gläubigen Frauen am Ende doch nur schnellen Spass? 

Das ich nicht mal im entferntesten auf die Idee kommen werde eine dieser Frauen auch nur lüstern anzusehen ist ja wohl klar. 

Als wir nach gefühlt ewigen fünf Minuten von der Landstrasse auf eine Piste einbiegen rüttelt uns der Wagen durch bis wir von der Straße unsichtbar hinter einem kleinen Berg zum stehen kommen.

“Willst du mich heiraten” übersetzt Mustapha für mich ihre freundliche Begrüßungsformel.

Ähhhhh ja hmmm. Ich weiss das Kennenlerngespräche südlich des Atlas häufig so ablaufen, bin aber doch schwer überrumpelt.

“Wir können uns gerne erstmal kennen lernen und dann schauen ob wir heiraten”, weiche ich aus. 

“In seiner Kultur ist das ein bisschen anders, man lernt sich erst kennen und heiratet nicht sofort” erklärt Abdullah für mich.”

“Wieso habe ich das Gefühl das sie mich das nur gefragt hat um ihr Gewissen zu erleichtern dass sie hier ist.”, schweige ich in mich hinein.

Es ist sehr kalt heute Nacht, trotzdem geht Abdullah mit seiner Flamme wie abgemacht auf den Spaziergang im hellen Mondschein.  Da sitze ich neben ihr im Geländewagen und sie schaut mich mit ihren braunen Augen an. “Du weisst das du das hier nicht tun wirst oder?” schwirrt mir durch den Kopf. 

“Aber wenn sie schon extra so viel riskieren und hierherkommen, wir uns vom Militär verfolgen lassen, warum soll das ganze dann umsonst sein?”, ändert sich in sekundenbruchteilen meine Meinung als sie mit ihrer warmen Hand nach meiner greift. 

Als wir uns küssen schmiegt sie ihre Hand auf meinen Oberschenkel, wird irgendwie immer wärmer hier drin, unerfahren scheint sie jedenfalls nicht, so wie sie rangeht hat sie so etwas sicher schon öfter gemacht. Sie fängt an mich auf den Hals zu küssen, das ging jetzt aber ganz schön schnell. Auf einmal klingelt ihr handy. 

Irritiert hält sie kurz inne ignoriert aber den Anruf. Als Abdullah sich mit seiner Flamme auf die Rückbank setzt lässt sie von mir ab. Was niemand gesehen hat ist nie passiert lautet wohl die devise, selbst ihrer Freundin traut sie nicht. 

Dann klingelt es nochmal, sie geht ran und diskutiert heftig auf Arabisch mit einem Mann, ihr Vater oder Ehemann?  “Wir müssen zurück” übersetzt Abdullah für mich und mir fällt ein Stein vom Herzen. 

Auf dem Parkplatz von Guelmim steigen die Frauen aus dem weißen Geländewagen und ein zutiefst beschämter Abdullah entschuldigt sich ausführlich bei mir.

“Kein Problem, du weisst ja, ich mag aufregende und gefährliche sachen, aber sag, was wäre passiert wenn sie uns erwischt hätten?”

“Du als Europäer wärst wahrscheinlich glimpflich davon gekommen, aber uns stecken sie erstmal in den Knast, die Frauen sind entehrt für ihr Leben, werden vielleicht sogar von ihrer Familie verstoßen und ich müsste sie heiraten.”

“Du müsstest was?! das ist ja wie im verdammten Mittelalter hier”

“ja” 

Eine Nachricht auf seinem Handy unterbricht das Gespräch, 

“sie wollen uns wiedersehen. morgen können wir mit ihnen in die Wüste fahren in mein Camp, aber sie sagen nur wenn du mitkommst”

“Soll das ein Witz sein”

Abdellah sagt schweren Herzens dem zweiten Date ab, wir hören nichts mehr von den Frauen. 

Nomaden leben ist ein einsames Leben. Und weil auch ich ein Nomade, ferner ein Mensch mit dem ureigenen Drang nach Gemeinschaft bin mache ich auf meinen Reisen gerne Zwischenstopps in den Backpacker Hostels dieser Welt. Ob ich mir vielleicht auch ein bisschen traute Zweisamkeit erhoffe, nun wer tut das denn nicht? Und wenn das Reisen deine Heimat ist dann sucht man nunmal da wo man ist, wer weiss vielleicht wartet ja auch die Frau fürs Leben hinter der nächsten Türschwelle. 

Tamraght. Der kleine Surferort nahe der Touristenstadt Agadir ist einer der letzten Zwischenstopps vor der abgeschiedenheit der Wüste um noch einmal die sozialen Batterien aufzuladen.

Im Hostel werde ich mit einem offensiven; “für so schöne Männer haben wir doch immer ein Bett frei” empfangen.

Chaima, die Bildhübsche Empfangsdame unseres einfachen surfer Hostels ist voller Jugendlicher Energie und erklärt mir bald was es mit dem Dating in Marokko auf sich hat. Die Mädchen sehnen sich nach unabhängigkeit und möchten Leben wie im Westen, die gleichen Rechte haben, arbeiten was sie wollen, flirten mit wem sie wollen und in den Großstädten klappt das auch gar nicht unbedingt so schlecht. Sie selbst arbeitet ja auch im Hostel und ist den ganzen Tag von jungen Männern umgeben, ihre Eltern sind aber auch nicht besonders streng.

Gleichzeitig möchten die Frauen aber in der Tradition bleiben jung zu heiraten und sich den Sex für die Ehe aufzuheben ist selbst wenn nicht von den Eltern aufgezwungen meist ein selbst gewählter Weg. 

Wenn du also bei Tinder bist und siehst diese ganzen jungen Frauen dann denke nicht das es so ist wie in Deutschland, die Mädchen sind bei Tinder um ein Mann fürs Leben zu finden. Am nächsten Morgen blicke ich auf mein Handy, sehe das kleine Flammensymbol von Tinder am oberen Rand des Bildschirms das mir einen neuen Match anzeigt. Chaima, na dann können wir uns ja jetzt kennen lernen.

“Wenn du gut kochen kannst dann gib acht dass du mich wieder los wirst.”, bekomme ich mit einem Augenzwinkern von der Seite als ich mein Frühstück mache. Mediterranes Omellet mit Tomaten, Parmesan frischem Oregano und Basilikum, dazu ein Tee a la heisser Zitrone mit frischer Minze, scheint als wäre ich im rennen sagt mir ihr hübsches Gesicht als sie vor Genuss die Augen schließt. 

Sie erklärt weiter, “Ich weiss das ich sehr offensiv bin und viele Männer verstehen das falsch. Ich habe die Schlüssel sämtlicher Hotels des ganzen Ortes weil die Kerle sie mir zustecken und denken ich hüpfe mal eben mit ihnen ins Bett aber das tue ich nicht, nicht vor der Ehe. 

Flirten geht immer aber wenn man mich haben will dann ganz oder gar nicht. Ich sage wo ich stehe damit alles klar ist von vornherein, die meisten Frauen hier können das nicht und dann entstehen selbstverständlich Missverständnisse.”

Eine Frau die weiss was sie will, das alleine ist ja ungewöhnlich genug und auch das sie hier arbeitet als junge Frau. Eine Frau die ihren Weg sucht zwischen den Konventionen einer Stockkonservativen Gesellschaft und dem Wunsch nach einem Selbstbestimmten Leben. Emanzipation hier geht anders. Man kann erst beginnen sie zu verstehen wenn man die Kultur verstanden hat, nur wer kann je von sich behaupten eine Kultur ganz und gar verstanden zu haben. 

Und wie ich es in meinem Nomadenleben gewohnt bin trennen sich meine Wege von Chaima schon am nächsten Tag, zum Abschied wirft sie mir noch einen Handkuss zu, na dann bis nächstes Jahr, vielleicht. 

Und aus einem Abenteurer wurden zwei, Mark und ich machen uns gemeinsam von Agadir auf den langen Weg nach Süden mit unserem Ziel Mauretanien. Zunächst nach Ad- Dakhla, die letzte Stadt vor der Grenze. 

Die ehemals Spanische Kolonie Westsahara wurde beim Streit um die größte Phosphatmine der Welt und den Zugang für Algerien zum Atlantik zerrissen. Marokko hat das Gebiet annektiert während die Sahara Bewohner, die Sahrauis mit ihrer Rebellenorganisation Polisario für Unabhängigkeit kämpfen. 

Im Marokko südlich von Agadir sieht man selten noch ein verputztes Haus, dann fährt der Reisebus durch das Eingangstor der Trabantenstadt Ad Dakhla am Südzipfel der Westsahara und Brunnen, Statuen und bunte Fahrbahnbeleuchtung schießt aus den Boden. Hier sieht es ja aus wie im Königsviertel von Marrakesch, anscheinend möchte da jemand seine Macht und seinen Wohlstand demonstrieren. 

Warum es jetzt auf einmal von Dating um politische Zusammenhänge geht, nun Marokko scheint etwas Leben in die Betonwüste bringen zu wollen und schickt junge Menschen zum studieren nach Ad- Dakhla. Junge Frauen um genau zu sein. Zwei Frauen namens Amira und Zahra, in zarten 21 Jahren. Sie haben uns schon mit unseren großen Rucksäcken gesehen als wir aus dem Bus gestiegen sind, und dann hat wieder die Magie dieser ominösen Dating App namens Tinder dafür gesorgt das wir uns treffen. 

Reisen würden sie auch so gerne, am liebsten direkt mitkommen, mit uns nach Mauretanien und Senegal, oder Europa, Amerika, die Welt sehen. 

“Aber diese verdammte Regierung. Wir haben kein Geld, wir können nicht weg und wenn wir Urlaub haben fahren wir nach Hause nach Fez in den Norden zu unseren Familien”, erzählen sie uns bei einer Cola auf der Terrasse eines Restaurants beim Rauschen des Atlantiks.

“Es gibt hier nicht mal ein Kino, ein Theater geschweige denn irgendwas wo man Tanzen gehen kann. Party´s schmeißen geht im Studentenwohnheim aber Jungs einladen können wir nicht. Kopftuch tragen wir nur noch wenn wir auf Wohnungssuche sind weil die alten das gerne sehen.”

Mark war auf den ersten Blick verliebt, Amira ist das wohl Liebreizenste Wesen was zwischen Atlas und Sahel wandelt. Zahra ist auch sehr hübsch aber kann leider kein Englisch und ob es an meinem nur sehr bruchstückhaften Französisch liegt oder an den so verschiedenen Welten in denen wir leben, es fällt mir schwer einen Draht zu ihr zu finden. 

Nach einem Abendessen schlendern wir in der warmen Winternacht die glatt betonierte Uferpromenade dieser merkwürdigen Stadt entlang, werden aufgewühlt von den Wellen des anderen, quatschen und lachen viel. 

Wahl Wahrheit oder Pflicht spielen wir, ich bin ja selbst mit 25 Jahren nicht gerade Großvater aber so Jugendlich wie an diesem Abend habe ich mich lange nicht mehr gefühlt.

Alkohol haben sie also noch nie getrunken, Sex auch noch nicht gehabt, den hebt man sich ja für die Ehe auf und als Zahra verpflichtet wird mich zu küssen wird sie ganz schüchtern. Ein kurzer, scheuer Kuss war das, und anscheinend der erste…

Man kann viel sagen über ein Gesellschaftssystem das so Konservativ ist dass es Menschen in ihrer persönlichen Freiheit einschränkt und Frauen ganz klar benachteiligt. 

Aber bevor ich mir dem Finger zeig blicke ich zurück auf meine eigene Herkunft und denke an junge Mädchen die einer Kultur aufwachsen die von ihnen verlangt offen und frei zu sein aber nicht nach dem Preis fragt.

Und hier, in Ad Dakhla, dieser Militärstadt sitzen zwei Frauen vor mir die mir noch einmal zeigen was Unschuld ist, wenn junge Menschen aufwachsen in einer Welt die frei von den Weltlichen Versuchungen ist.

Mir ist klar das wir hier die Weissen Männer mit dem Feuerwasser sind die die Mädchen in Versuchungen bringen von denen sie ihr leben lang bewährt wurden, aber so weit sollte es zum Glück nicht kommen. Es blieb bei einem kurzen Kuss.

Wir verabschiedeten uns nach einem langen und wundervollen Abend. Sie würden uns gerne wiedersehen, morgen. Aber wir müssen weiter, nach Mauretanien, ein Abenteuer wartet.

Na dann, bis nächstes Jahr, vielleicht.

(Namen und Orte der betreffenden Personen wurden Teilweise geändert)